Steigende Zinsen, hohe Inflation, zunehmende Volatilität – gelingt es dem institutionellen Vertrieb, sich an das veränderte Marktumfeld anzupassen? Welchen Einfluss haben Digitalisierung und Künstliche Intelligenz? dpn hat nachgehakt.

Thorsten Heymann, Partner bei Deloitte, Alexandra von Kalnein, Geschäftsführeri von Natango Invest, Gerald Gonsio, Partner bei PwC, und Kevin Naumann, Partner bei KPMG, stellen sich den Fragen der dpn-Redaktion.

Inwieweit werden Angebot und Nachfrage im Asset Management für institutionelle Kunden der schwierigen makroökonomischen Lage gerecht?

Thorsten Heymann: Durch das erhöhte Zinsniveau können institutionelle Investoren wieder auskömmlichere Renditen mit liquiden, festverzinslichen Anlagen erzielen. Der Trend zu illiquiden Anlagen hat sich dadurch abgeschwächt. Die Transformation der Portfolios in Richtung CO2-Neutralität kreiert aber neue Herausforderungen, die durch innovative Produktlösungen wie regenerative Energien oder Carbon Capture adressiert werden müssen.

Alexandra v. Kalnein: Produktangebote der Asset Manager sind häufig anbietergetrieben und beantworten nicht immer den Bedarf der Anleger. Folgen der makroökonomischen Lage sind erhöhte Volatilität, Unsicherheiten und damit intensiveres Risikomanagement. Die einzelnen Bausteine der strategischen Allokation bleiben unverändert, es geht um die richtige Mischung, bei der Performance-Maximierung nur ein Kriterium sein sollte.

Gerald Gonsior: Unser Research zeigt, dass Inflation und Marktvolatilität zentrale Themen für institutionelle Anleger sind. Investoren erwarten mehr innovative, maßgeschneiderte und flexible Produkte von ihren Managern, um Marktschwankungen zu begegnen und neue Renditepotentiale zu erschließen. Die Asset Manager sind entsprechend gefordert und arbeiten mit hoher Priorität daran, ihr Produktangebot zu erweitern.

Kevin Naumann: Durch die Zinswende wird es leichter, planbare Rendite zu erzielen. Doch es fehlt noch an Kreativität, um institutionelle Investoren beim Turnaround der langlaufenden, niedrigverzinsten Rentenportfolios zu unterstützen. Für die Unsicherheiten am Aktienmarkt bedarf es umfangreicher, kosteneffizienter Absicherungskonzepte. Asset Manager müssen durch Digitalisierung effizient, aber deutlich individualisierbarer agieren können.

An welchen Stellen muss sich der Vertrieb gegenüber institutionellen Investoren verbessern?

Thorsten Heymann: Bei der holistischen Beratung von liquiden und illiquiden Asset-Klassen. Zu oft bedarf es noch Produktspezialisten, die im illiquiden Bereich de facto die Aufgabe des institutionellen Vertriebs mit übernehmen. Diesen Skill-Gap gilt es zu schließen und zusätzlich Kompetenzen rund um ESG aufzubauen – vor allem für die Transformation der Portfolios in Richtung CO2-Neutralität.

Alexandra v. Kalnein: Optimaler Vertrieb ist ein tiefes Verständnis der Gemengelage der Investoren und das zielgerechte Angebot zur Problemlösung. Er bedeutet den Verzicht auf Gesprächsangebote, wenn verfügbare Strategien gerade nicht passen. Unabhängiger Vertrieb hat die Möglichkeit, sich mit Angeboten zurückzuhalten und erst dann vorzusprechen, wenn die Strategien dem Bedarf gerecht werden.

Gerald Gonsior: Eine weitergehende Kundenzentrierung im Vertrieb sollte oberste Priorität sein, um die sich zum Teil schnell ändernden Bedürfnisse und Ziele institutioneller Investoren erkennen und bedienen zu können. Dies erfordert eine tiefgehende Kenntnis der Kunden und ihrer Anlagestrategien sowie die Fähigkeit, maßgeschneiderte Lösungen und exzellenten Kundenservice (inklusive kurzer Reaktionszeiten) anzubieten.

Kevin Naumann: Die Digitalisierung gewinnt in allen Lebensbereichen an Geschwindigkeit. Institutionelle Investoren erwarten eine Verbesserung des Kundenerlebnisses entlang aller Kontaktpunkte. Dies umfasst digitale Prozesse, ein Handling in Echtzeit und eine Erhöhung der Transparenz bei Mehrwert und Kosten des Produktes. Anbieter sollten auch über den Vertrieb die Chance nutzen, sich über Zusatzangebote, wie Insights aus Daten, abzugrenzen.

Wie muss sich der institutionelle Vertrieb der Zukunft vor dem Hintergrund von Künstlicher Intelligenz (KI) entwickeln?

Thorsten Heymann: KI wird den Vertriebs- und Serviceprozess verändern und die Möglichkeit maßgeschneiderter Lösungen deutlich verbessern. Gezieltere Kundenansprache und systemische Identifikation von Neukunden, Reporting- und Optimierungslösungen, die holistisch die Situation der Kunden analysieren und interaktiv im Gespräch mit den Kunden „live“ erlebbare Ergebnisse zeigen, werden das „New Normal“ im institutionellen Vertrieb der Zukunft sein.

Alexandra v. Kalnein: Institutionelle Investoren werden durch neue Technologien wie Marktdaten-Tools und -analysen sowie digitalisierte Handelsprozesse ihre Daten vergleichen können. Damit werden große Teile des Selektionsprozesses auch durch KI abgedeckt. Die emotionale Bindung zwischen Anleger und Vertrieb bleibt bestehen, da die Übertragung eines Vermögens neben rein quantitativen Aspekten auch auf Vertrauen baut.

Gerald Gonsior: KI bietet enorme Möglichkeiten, zum Beispiel eine „lernende“ Struktur im Vertrieb zu etablieren und sowohl Effektivität als auch Effizienz zu steigern. KI kann wichtige Impulse und Informationen für Kundeninteraktionen liefern oder auch als Werkzeug in der Vertriebssteuerung eingesetzt werden. Auch können administrative und repetitive Aufgaben durch KI optimiert werden.

Kevin Naumann: Das Schlüsselwort lautet hier: Hand-in-Hand! KI bietet aus meiner Sicht die Chance für den Vertrieb, sich noch intensiver um die Kunden zu kümmern. Intelligente, virtuelle Assistenten unterstützen Vertriebsmitarbeitende zukünftig an der Kundenschnittstelle. Zudem ermöglicht KI es dem Vertrieb, informierte und faktenbasierte Entscheidungen zu treffen und so den Vertriebserfolg nachhaltig zu steigern.

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