Es kommt wieder Bewegung in die Welt der Versicherungs-Regulatorik. Wie der US-Vermögensverwalter Invesco in seiner neuen Publikation „Insurance – Regulatory Strategic News“ berichtet, arbeiten die internationalen und europäischen Aufseher und Regulierer (Europäische Kommission, EIOPA, IAIS) derzeit an einer Reihe von Projekten, die die Versicherungsbranche in den kommenden Monaten beschäftigen wird.
Drei Programmpunkte stehen ganz oben auf der Liste der Aufsichtsbehörden: Zum einen läuft die Evaluierung des Solvency-II Regelwerks weiter, bei der vor allem die Rolle der Versicherer in der Finanzierung der Realwirtschaft sowie der Finanzierung nachhaltigem Wachstums im Zentrum stehen soll. Zum anderen werden die Überlegungen der EIOPA konkreter, ESG-Kriterien für verschiedene Asset-Klassen genauer zu definieren.
Darüber hinaus, so berichtet Invesco, würden von den europäischen Aufsehern auch neue Vorschriften zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsrisiken und negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen von Finanzmarktteilnehmern diskutiert. Auf internationaler Ebene stehen systemische Risiken und präventiv wirkende Instrumente, sogenannte makroprudentielle Instrumente, wieder auf der Tagesordnung.
Versicherungs-Regulatorik: Systemische Risiken und Liquiditätsmanagement im Blick der Aufseher
Als Reaktion auf die Finanzkrise 2008/09 rückte es in das Zentrum der regulatorischen Aufmerksamkeit. Nach Jahren des Quantitive Easings und Niedrigzinses sei das Thema wieder so brisant wie eh und je: Systemische Risiken sind zurück auf der Agenda. Die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (IAIS) arbeitet derzeit an einem neuen Framework zur Identifikation und Reduzierung von systemischen Risiken im Versicherungssektor.
Im Mittelpunkt dabei stehen vor allem Liquiditätsrisiken, Ansteckungsgefahren durch makroökonomische Risiken, das Kontrahentenrisiko sowie die Einführung eines jährlichen globalen Risikomonitorings durch das IAIS. Auch weitere Risiken wie Cyberrisiken als Auslöser systemischer Risiken stehen im Blickpunkt der Aufseher. Die diskutierten neuen Standards sollen im November diesen Jahres verabschiedet werden. Die Umsetzung soll 2020 folgen.
Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) knüpft daran an und empfiehlt neben mehr Interventions- und Präventionsmaßnahmen die Einführung umfassenderer Berichtspflichten sowie EU-weite Standards für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsgesellschaften. Elizabeth Gilliam, Head of EU Government Relations and Public Policy, weist die Versicherungen darauf hin, dass „[auch] wenn derartige Änderungen erst in einigen Jahren greifen werden, muss sich die Versicherungswirtschaft auf [eine] kritischere Prüfungen ihrer Liquiditätsrisikomanagement-Systeme einrichten.“ Dabei stünden auch Fragen nach den Derivatepositionen der Versicherer im Raum, „da Derivatepositionen die Verschuldungsquote und die Ansteckungsgefahr über das Kontrahentenrisiko erhöhen und sich durch Margin Calls auf die Liquiditätsposition der Versicherer auswirken“.
ESG-Kriterien sollen klarer definiert werden
Aber nicht nur systemische Risiken und Liquiditätsfragen genießen wieder die Aufmerksamkeit der Regulierer. Auch ESG-Themen stehen abermals auf der Agenda. Eigentlich ein positives und optimistisches Thema, können sich Versicherer dabei auf der Betroffenenseite wieder finden: Extreme Wetterlagen wie Tropenstürme und Dürreperioden, oder von Risiken, die sich aus der Energiewende ergeben.
Gilliam betont, dass viele „dieser Initiativen noch nicht im Detail ausgearbeitet“ seien, aber klar sei, „dass Versicherungsunternehmen Nachhaltigkeitsthemen künftig stärker in den Blick“ nehmen werden müssen. Dabei seien Szenarienanalysen und Stresstests zu Klimafaktoren ein möglicher Ansatz. Ein anderer, so Invesco, sei die Bewertung des Portofoliorisikos durch Anlagen in CO2-intensive Unternehmen.
Mit der Umsetzung solcher Anforderungen sind natürlich auch die verschiedensten Kosten verbunden, wie sie die Banken nach der Krise zu schultern hatten: „Dazu gehören der Aufbau der notwendigen analytischen Ressourcen, um Stresstests und Szenarioanalysen zu Nachhaltigkeitsrisiken durchzuführen, Erwägungen hinsichtlich der Optimierung strategischer Allokationen in nachhaltige Anlagen und die Berücksichtigung von ESG-Faktoren in den Investmentportfolios“, mahnt hierzu Invesco-Fachfrau Gilliam.
Außerdem werden auf europäischer Ebene aktuell Maßnahmen wie die Einführung eines einheitlichen Klassifikationssystems (EU-Taxonomie) im Bereich nachhaltiger Finanzierung diskutiert. Ziel sei es die sogenannten ESG-Kriterien für verschiedene Asset-Klassen genauer zu definieren – also zu bestimmen welche wirtschaftlichen Aktivitäten als „nachhaltig“ gelten können sollen.
Solvency II Überarbeitungen können große Veränderungen mitbringen
Neben systemischen Risiko und Nachhaltigkeitsfragen, steht noch der Abschluss der periodischen Überprüfung der Solvency-II-Richtlinie (Review 2018) an. Hier rechnet Invesco mit einer Vereinfachung der Berechnung der Kapitalanforderungen an die Versicherungen sowie mit neuen Anlagemöglichkeiten mit langer Laufzeit in nicht gerateten Schuldinstrumenten.
Erheblicher schwerer schätzt Elizabeth Gilliam die Konsequenzen des kommenden Reviews 2020 ein: „Infolge dieser Evaluierung könnten sich das Solvency-II-Regelwerk und der allgemeine Regulierungsrahmen in Europa erheblich ändern, zum Beispiel in Bezug auf das Matching Adjustment und Volatility Adjustment, die Risikomarge, makroprudentielle Fragen und das europäische Versicherungsgarantiesystem“, kommentiert die Head of EU Government Relations and Public Policy bei Invesco.