Krisen und Staatsverschuldung treiben den Goldpreis in die Höhe

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Herr Louvet, der Goldpreis hat in den ersten Monaten dieses Jahres mehrere Rekordwerte nacheinander erreicht. Neue Allzeithochs haben wir aber bereits im vergangenen Jahr beobachten können.

Benjamin Louvet: Ja, 2023 war ein spezielles Jahr für Gold. Normalerweise sehen wir eine negative Korrelation zwischen Gold und den Realzinssätzen. Somit ist Gold bei der Rendite weniger attraktiv für Anleger, wenn die Leitzinsen steigen. Deshalb wäre ein niedriger Goldpreis im vergangenen Jahr zu erwarten gewesen. Tatsächlich ist er aber nicht gesunken. Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste Grund sind die geopolitischen Risiken, die sich praktisch überall auf der Welt zeigen, vor allem in der Ukraine und in Israel. Deshalb wollen viele Menschen Gold als sicheren Hafen in ihrem Portfolio haben und kaufen. Der zweite Grund sind die umfangreichen Goldankäufe der Zentralbanken. Das World Gold Council befragt Zentralbanken weltweit nach ihren Käufen und Kaufplänen. Demnach haben die Banken im vergangenen Jahr 1.037 Tonnen Gold gekauft. Das war der zweitgrößte Ankauf seit 1967. Den Höchstwert bei den Goldankäufen haben wir 2022 mit 1.137 Tonnen Gold gesehen.

Wollen die Zentralbanken ihre Goldkäufe auch im laufenden Jahr fortsetzen?

Benjamin Louvet: Ja, laut der Befragung des World Gold Council will fast jede vierte Zentralbank den eigenen Goldanteil erhöhen, nur 3 Prozent wollen ihn verkleinern. Allein die People’s Bank of China hat seit Oktober 2022 jeden Monat Gold angekauft. Die Zentralbanken setzen aus drei Gründen auf Goldankäufe. Zum ersten ist Gold ein Edelmetall und stellt also einen Wert an sich dar und keine Schuld für irgendjemanden. Zum zweiten prognostizieren die Zentralbanken, dass die Realzinsen noch lange niedrig bleiben und nicht weiter steigen werden. Das hängt wohl teilweise damit zusammen, dass eine allgemeine Unsicherheit darüber besteht, wie sich die Inflation in den kommenden Monaten und Jahren entwickeln wird. Ein Auslöser für die Inflation in den vergangenen Jahren waren Störungen und Unterbrechungen der globalen Lieferketten. Solche Probleme sind einfach existent und lassen sich nicht dauerhaft durch die Zinspolitik der Zentralbanken beheben.

Aber die Zinsschraube bleibt auch künftig ein zentrales Instrument der Geldpolitik.

Benjamin Louvet: Ja, aber die hohen Staatsverschuldungen sind aktuell der Elefant im Raum. Sowohl viele Developed Markets als auch Emerging Markets sind hochverschuldet. Die Debt GDP Ratio der USA beträgt 120 Prozent. Wenn die Realzinsen um 1 Prozent steigen, dann muss ein Staat 1,2 Prozent seines GDP zusätzlich an Zinsen für die Verschuldung zahlen. Jetzt haben die Staaten eine Duration auf ihre Verschuldung. Das Bedienen der Staatsschulden wird in den nächsten Jahren der größte Posten im Staatsbudget werden. Somit können die Zentralbanken die Leitzinsen nicht anheben, ohne dem jeweils eigenen Land zu schaden. Aus der hohen Staatsverschuldung bieten sich laut Rogoff und Reinhart drei Auswege an. Zunächst eine Inflation, die sich aber nicht leicht kontrollieren lässt. Als zweiter Ausweg finanzielle Repression zum langfristigen Abbau der Staatsschulden, etwa über leicht negative Zinssätze, ohne dass ein Run auf die Banken einsetzt. Der dritte Weg ist die Kreditstrukturierung. Rogoff und Reinhart erwarten als Lösung vieler Zentralbanken einen Mix aus den drei Maßnahmen. Heute sehen wir deutlich höhere Staatsverschuldungen als zu der Zeit, als die beiden ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht haben. Deshalb erwarte ich, dass die Realzinsen noch lange niedrig bleiben und weiterhin viele Zentralbanken in Gold investiert bleiben.

In welchem Verhältnis stehen Goldpreis und Realzinsen zueinander?

Benjamin Louvet: 2023 ging der Goldpreis stark in die Höhe, und auch die Realzinsen stiegen schnell stark an. Normal wäre folgendes Szenario: Wenn die Realzinsen um 1 Prozent runtergehen, dann steigt der Goldpreis um brutto 20 Prozent. Im vergangenen Jahr gingen die Realzinsen für die zehnjährigen US-amerikanischen Staatsanleihen von -1 auf +2,5 Prozent nach oben, also um +3,5 Prozentpunkte. Wir hätten also einen deutlichen Preisverlust beim Gold sehen sollen. Doch die Menschen vertrauen nicht auf die Langfristigkeit des Zinsanstiegs. Deshalb bleiben sie beim Gold. Derzeit sind wir am Ende der restriktiven Geldpolitik und sehen eine zunehmend verlierende Geldpolitik. Diese Konstellation ist günstig für Gold. Somit hat Gold das Potential, bis zum Jahresende neue Höchstwerte in einer Spanne von 2.300 bis 2.400 US-Dollar für eine Unze Gold zu erzielen. Zwar sehen wir heute kleinere Gold-Exposures in den Portfolios institutioneller Investoren als in der Vergangenheit. Doch ich rechne damit: Sobald wir wieder eine verlierende Geldpolitik sehen, werden institutionelle Investoren in den kommenden Monaten wieder zu Gold und Gold-ETFs zurückkehren.

Welche Performance erwarten Sie von den Aktien großer börsennotierter Bergwerkbetreiber?

Benjamin Louvet: Ich sehe die Perspektiven für Minen und deren Betreiber mit gemischten Gefühlen. Wer in Mining-Aktien investiert, hat immer einen Hebel, verglichen mit Investments in den Rohstoff. Zudem ist die Goldproduktion derzeit weltweit gedeckelt. Es gab keine großen Entdeckungen neuer Goldvorkommen in den vergangenen 20 Jahren. Alle großen Minen sind jetzt offen, und der Goldgehalt dieser Vorkommen ist rückläufig. Ein Minenbetreiber kann derzeit nur über eine Fusion oder die Übernahme eines Wettbewerbers wachsen, wie wir es ja in den vergangenen Jahren einige Male am Markt gesehen haben. CapEx, also die Investitionsausgaben für längerfristige Anlagegüter wie Maschinen, Gebäude und Ausrüstung, und die OPEX, also Betriebsausgaben für den operativen Geschäftsbetrieb, werden wahrscheinlich aufgrund der Goldverknappung steigen. Das erschwert die Rentabilität des Geschäftsmodells von Bergwerkbetreibern in den kommenden Jahren. Auch die Energy Transition wird in den nächsten Jahren schwieriger. Die steigenden Zinsen verteuern den Betrieb von Bergwerken. Eine neue Mine einzurichten, dauert im Durchschnitt 17 Jahre. Das bedeutet für die Betreiber, jahrelang hohe Zinsen zahlen zu müssen, ehe es zu einem Return der Investitionen kommt. Die Zeiten für Minenbetreiber sind also generell schwierig. Die Aktien der großen Minenbetreiber sind seit Jahren unterbewertet. Manche Goldminenbetreiber wollen ihr Minenportfolio diversifizieren und zum Beispiel in Kupfer einsteigen.

Welche institutionellen Investoren sind in Gold investiert?

Benjamin Louvet: Pensionsfonds in Großbritannien und den USA nutzen Gold für die Diversifizierung ihrer Portfolios. Dagegen denken Investoren in Kontinentaleuropa, Gold biete keinen Return und eigne sich deshalb nicht für Pensionseinrichtungen, die Liabilities bedienen müssen. Ich hoffe, dass sich dieses Denken in den nächsten Jahren ändern wird. In den beiden zurückliegenden Jahren haben wir kaum neue Investitionen von Investoren in Gold gesehen. In Kontinentaleuropa macht Gold vielleicht 1 Prozent eines Portfolios im Durchschnitt aus.

Stichwort Energiewende: Stehen Industriemetalle global in ausreichenden Mengen zur Verfügung?

Benjamin Louvet: Wissenschaftlich belegt ist, dass wir in den nächsten 40 Jahren genauso viel Metall aus der Erde gewinnen müssen, wie die Menschheit bislang in ihrer gesamten Geschichte gefördert hat. Haben wir genügend Vorkommen auf der Erde? Ja. Können wir die benötigten Mengen an Metall schnell genug aus der Erde fördern? Im Augenblick nicht. Wir brauchen vor allem Kupfer, Bauxit und Nickel für klimafreundliche Technologie, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Dagegen spielt Lithium im Augenblick vergleichsweise eine geringere Rolle.

Können Sie das am Beispiel von Kupfer konkretisieren?

Benjamin Louvet: Heute betreiben wir weltweit rund 250 Kupferminen, brauchen aber etwa 80 zusätzliche Minen, um die Energiewende möglich zu machen. Bislang stehen nur zehn neue Minen auf dem Prüfstand. Die Mengen an Kupfer, die wir absehbar fördern werden, werden den globalen Bedarf um Längen nicht decken. Aus meiner Sicht sollten die Preise für die benötigten, aber knappen Metalle erhöht werden, um Angebot und Nachfrage im Rohstoffgeschäft auszubalancieren. Dafür haben wir zwei Hebel. Der erste Hebel sieht so aus, dass wir die Nachfrage zerstören, indem Kupfer zu teuer wird. Der zweite Hebel ist die Anhebung von Preisen, um das Geschäft der Betreiberfirmen wieder profitabel zu machen. Also sollten die Metallpreise in Zukunft massiv steigen. Nach einer Studie des Internationalen Währungsfonds von Oktober 2021 sollten die Preise für Lithium, Nickel, Kobalt und Kupfer, die zu den entscheidenden Metallen für die Energiewende zählen, bis 2040 steigen. Die Preise für Lithium, Nickel und Kobalt sollten bis zu dem Zeitpunkt um mehrere 100 Prozent stiegen, der Preis für Kupfer um 600 Prozent – konservativ geschätzt. Die Erschließung neuer Vorkommen können auch höhere Preisanstiege notwendig machen. Bis 2030 werden wir weltweit ein Kupferdefizit in der Spanne von 1,5 bis 7 Million Tonnen bei einer jährlichen Produktion von 30 Millionen Tonnen haben.

Dann sollten die Preise für die benötigten Metalle schon im vergangenen Jahr kräftig gestiegen sein, oder?

Benjamin Louvet: Im Jahr 2023 hatten wir eine besondere Marktsituation, in der die Metallpreise nicht stiegen. Die weltweite Nachfrage nach Kupfer wuchs um 4 Prozent – ein beachtlicher Zuwachs, wenn wir die Krisen und schwachen Konjunkturen in Europa, den USA und in China berücksichtigen. Zugleich ist die Nachfrage nach nachhaltigen Technologien, etwa nach Elektroautos in China, gestiegen. Das heißt, wir haben im vergangenen Jahr eine schwächere Nachfrage nach Kupfer in den traditionellen Industriesektoren gesehen, während die Nachfrage aufgrund der erneuerbaren Energien stark stieg. Die Frage ist aber, warum die Metallpreise 2023 angesichts einer steigenden Nachfrage nicht auch nach oben gingen. Der Grund dafür war die Konsumzurückhaltung – auch bei Metallen – in China. Das Land kehrte 2023 gerade erst aus dem strikten Corona-Lockdown zurück.

Welche Konsequenz hat das unzureichende Angebot an Metallen wie Kupfer für die Welt?

Benjamin Louvet: Die Menschheit tauscht ihre bisherige Abhängigkeit von fossiler Energie gegen eine Abhängigkeit von Metallen ein. In der Welt wird es – unabhängig vom Wirtschaftswachstum – darum gehen, die Energietransformation zu beschleunigen. Das Angebot an Metall auf dem Weltmarkt und die Preise für Metall werden in Zukunft unelastisch bleiben, und die Nachfrage nach Metall aufgrund der Energietransformation wird die rückläufige Nachfrage aus anderen Industriesektoren und daraus erfolgende Einsparungen wahrscheinlich übersteigen – außer im Falle einer tiefen Rezession. Wir müssen also künftig dafür sorgen, immer ein möglichst hohes Angebot an Metall bereitzuhalten.

Wie sieht die Situation bei Lithium aus?

Benjamin Louvet: Sie ist anders. Der Lithiumabbau entwickelt sich schneller als die Verwendung des Metalls, vor allem in der Elektrofahrzeugindustrie. Das ist ein Grund dafür, dass der Preis für Lithium von 85.000 Dollar je Tonne im Jahr 2022 auf 13.000 Dollars heute eingebrochen ist. Ich erwarte, dass der Lithiumpreis auch in den nächsten ein oder zwei Jahren unter Druck bleiben wird. Ein Grund dafür ist, dass die Nachfrage nach Lithium im Automobilbau zurückgeht. So wechselt die Nachfrage nach Autos in China gerade von Elektroautos hin zu Plug-in Hybrid Electric Vehicles.

Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung institutioneller Investoren in Deutschland gegenüber Aktien von Bergbauunternehmen sind die schwierigen Umweltwerte. Ist diese Zurückhaltung berechtigt?

Benjamin Louvet: 83 Prozent unseres primären Energiekonsums beruht auf fossilen Energien. Daraus resultieren 70 Prozent aller Emissionen. Wir stehen noch am Anfang der Energiewende, und wir sind spät dran. Der Bergwerksektor – ich spreche von Unternehmen mit Scope 1 bis 3, Cradle to Gate, also alle Emissionen, die bei der Produktion, Verarbeitung und Transport entstehen– ist für 11 bis 15 Prozent aller CO2-Emissionen in der Welt verantwortlich. Ich halte es für unverantwortlich, dass die EU-Behörden den Bergwerksektor nicht in die EU-Taxonomie aufgenommen haben – etwa im Gegensatz zur Luftfahrt. Dieses Versäumnis steht der Energy Transition im Weg. Institutionelle Investoren haben aber die Wahl, in Aktien von Bergwerkunternehmen oder direkt in Metalle zu investieren, etwa über Fonds. In unserem eigenen Fonds haben wir acht Metalle, die für die Energiewende erfolgskritisch sind, darunter Silber, Kupfer, Platin. Aluminium und Zink. Investitionen in Rohstoffe sind unserer Ansicht nach der beste Weg, um sich als Investor in der Klimafrage zu exponieren, ohne in Betreiber von Bergwerken und Minen zu investieren. Zudem müssen diese Betreibergesellschaften in den nächsten Jahren viel in die Förderung neuer Vorkommen investieren. Dadurch haben sie weniger Möglichkeiten, Dividenden an ihre Aktionäre auszuschütten.

Dr. Guido Birkner ist Chefredakteur von dpn – Deutsche Pensions- und Investmentnachrichten. Seit dem Jahr 2000 ist er für die F.A.Z.-Gruppe tätig. Zunächst schrieb er für das Magazin „FINANCE“, wechselte dann als Studienautor 2002 innerhalb des F.A.Z.-Instituts zu den Branchen- und Managementdiensten, später zu Studien und Marktforschung. Von 2014 bis 2020 verantwortete er redaktionell den Bereich Human Resources in der F.A.Z. BUSINESS MEDIA GmbH. Seit Juli 2019 gehört er der dpn-Redaktion an.

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