Schwellenländer: Alles eine Frage des Ansatzes

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Herr Shende, wie beurteilen Sie die aktuellen Bewertungen in den Schwellenländern?

Charudatta Shende: Wie bei vielen anderen Anlageklassen im Bereich der festverzinslichen Wertpapiere betrachten wir auch die Schwellenländermärkte aus der Perspektive der Renditen und Spreads, und wir sehen eine gewisse Streuung innerhalb des Anlagesegments. Insgesamt bietet die Anlageklasse der Schwellenländeranleihen eine attraktive Rendite von rund 8 Prozent, wie der JP Morgan EMBI GD Benchmark Ende Februar zeigt. Es ist jedoch entscheidend, die Quelle dieser Renditen zu erkennen. Während die Rendite auf Indexebene verlockend erscheint, stammt ein großer Teil dieser Rendite aus Segmenten mit niedrigerem Rating, insbesondere Single-B- und Triple-C-Anleihen, während die Renditen für Investment-Grade-Anleihen bei etwa 5,6 Prozent liegen. Dies spiegelt sich auch in den Spreads wider. Die High-Yield-Segmente der Schwellenländer sind sowohl absolut als auch relativ gesehen attraktiv, während sich die Spreads für Investment-Grade-Anleihen auf ein Niveau eingeengt haben, das seit 2007 nicht mehr erreicht wurde. Währenddessen liegen die Spreads für High-Yield-Anleihen immer noch über dem Niveau von vor der Globalen Finanzkrise. Daher ist ein umsichtiger Ansatz erforderlich, der selektive Investitionen und nicht wahllose, ausschließlich auf Rendite ausgerichtete Maßnahmen vorsieht.

 

Was sind die wichtigsten Faktoren, die Sie berücksichtigen, bevor Sie in einen bestimmten Vermögenswert investieren?

Charudatta Shende: Der Eckpfeiler unseres Ansatzes ist die Bewertung der Kreditwürdigkeit jedes Emittenten, sei es ein Unternehmen oder ein Staat. Durch rigoroses Bottom-up-Fundamentalresearch, das auch ESG-Faktoren einbezieht, untersuchen wir das idiosynkratische Risiko, das Emittenten in sich bergen. Wir untersuchen damit, inwiefern ihre Fähigkeit, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, beeinträchtigt ist. Wir ergänzen diese Analyse mit einer Top-Down-Bewertung von Makrofaktoren wie US-Zinsen, Liquiditätsbedingungen, Rohstoffmärkten und China. Das verschafft uns einen Gesamtüberblick über die Anlageklassen der Schwellenländer, von Hartwährung über lokale Währung bis zu Unternehmen. Schließlich stellen wir das Portfolio zusammen, indem wir die geeigneten Instrumente auf der Grundlage des relativen Werts auswählen.

Sharudatta Shende ist Head of Client Portfolio Management Fixed Income bei Candriam. Foto: Candriam
Charudatta Shende ist Head of Client Portfolio Management Fixed Income bei Candriam. Foto: Candriam

Gibt es bestimmte Länder, die Sie gegenwärtig für Investitionen in Emerging Markets Hard Currency für günstig halten?

Charudatta Shende: Während wir einen vorsichtigen Ansatz beibehalten, insbesondere gegenüber Ländern mit niedrigerem Rating, sehen wir einen allgemein günstigen Ausblick für Schwellenländer-Hartwährungen, der sich aus mehreren aktuellen Faktoren ergibt. Die Zentralbanken haben ihre Zinserhöhungszyklen im Allgemeinen abgeschlossen, und wir gehen davon aus, dass die Geldpolitik weltweit stabil bleiben und dann im Zuge der Normalisierung der Inflation gelockert werden wird. Dies ist eine wichtige Unterstützung für die Schwellenländer.

 

Ein weiterer Rückenwind ist das robuste makroökonomische Umfeld in der ganzen Welt, wobei eine weiche Landung das Hauptszenario in den entwickelten Märkten ist. Das bietet den Schwellenländern ein günstiges Umfeld für ihr Wachstum. Speziell für die Schwellenländer gilt, dass ein erheblicher Teil des Universums offenbar überschaubare Außenbilanzen aufweist. Der IWF und andere internationale Finanzinstitutionen haben die Schwellenländer, die mit schwierigen Bedingungen konfrontiert sind, besonders aktiv unterstützt. Schließlich haben die aus Sicht des Kreditrisikos anfälligeren Länder einen überschaubaren Betrag an Schulden, die in der kommenden Zeit fällig werden, was das Ausfallrisiko begrenzt.

 

Können Sie die grundlegenden Faktoren erläutern, die Sie bei der Bewertung der Länder berücksichtigen?

Charudatta Shende: Unsere Bewertung umfasst eine umfassende Analyse der Bilanz, der Leistungsbilanz, der Verschuldung und der Haushaltslage eines Landes, des Marktzugangs, der Währungsreserven, des Finanzierungsbedarfs und der Zinszahlungen. Wir prüfen auch historische Daten, um die Tragfähigkeit der Schulden und die wirtschaftliche Stabilität zu beurteilen, was für Investitionsentscheidungen entscheidend ist. Was das wirtschaftliche Profil eines Landes betrifft, so sind wir der Ansicht, dass ESG-Überlegungen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Kreditwürdigkeit eines Landes spielen. Dabei konzentrieren wir uns auf Governance, Umweltaspekte und soziale Aspekte. Wir sind uns bewusst, dass das vielfältige Universum der Schwellenländer Herausforderungen mit sich bringt, die je nach Land sehr unterschiedlich sind. Bei unseren ESG-Integrationsbemühungen steht die Wesentlichkeit im Vordergrund, und alle Aspekte haben in unserem Integrationsansatz eine bestimmte Gewichtung. Das ESG-Team von Candriam hat ein eigenes Nachhaltigkeitsmodell für Staaten entwickelt, das in unseren ESG-Integrationsprozess einfließt. In unserer Artikel 9 EMD-Strategie bei Candriam schließen wir Länder auf der Grundlage ihrer ESG-Bewertungen aus dem investierbaren Universum aus.

 

Sie haben bereits die Rolle und den Einfluss Chinas erwähnt. Was denken Sie über das langsame Wachstum in diesem Land?

Charudatta Shende: Das Wachstum hat die Erwartungen in diesem Land eindeutig enttäuscht, aber wir halten das nicht für eine große Überraschung. Während der COVID gab es in China nicht so viele Anreize wie in anderen Industrieländern, was die Erholung des Landes verlangsamte. Das Verbrauchervertrauen ist nach wie vor gering, was zu hohen Sparquoten führt, zweifellos eine Folge des Covid-Traumas, als es kaum Unterstützung gab, und das hat große Auswirkungen auf das Wachstum. Hinzu kommen die Probleme des Immobiliensektors (die ebenfalls nicht unerheblich sind) und die Tatsache, dass eine Verlangsamung in den Industrieländern den Exporten Chinas nicht zuträglich ist, die ihrerseits ebenfalls von einem feindlicheren Handelsumfeld betroffen sind. Wir werden die Situation weiter beobachten, bleiben aber in Bezug auf China sehr vorsichtig. Allerdings bieten die Probleme Chinas auch Chancen für andere Länder wie Indien und Indonesien, die von der Verlagerung des Anlegerfokus von China profitieren können.

 

Gibt es bei EM Corporates Sektoren, auf die Sie sich besonders konzentrieren?

Charudatta Shende: Auch hier geht es nicht um eine sektorale Betrachtung, sondern um eine Betrachtung der einzelnen Emittenten. Wir betrachten EM-Unternehmensanleihen als eine sehr interessante Gelegenheit. Viele dieser Emittenten weisen Fundamentaldaten auf, die in einer sehr guten Verfassung sind. Ein Beispiel dafür ist der Telekommunikationssektor: Hier gibt es zwar einige Emittenten, die schwach sind, aber der Sektor als Ganzes ist ziemlich stark und wird dank der Digitalisierung sehr gute Jahre erleben. Nichtsdestotrotz sind wir sehr vorsichtig mit dem Immobiliensektor sowie mit den zyklischeren Namen und konzentrieren uns eher auf defensive Sektoren wie Versorger, Telekommunikationsunternehmen und Technologie im Allgemeinen.

 

Welche Trends sehen Sie bei den Investitionen in den Schwellenländern?

Charudatta Shende: Selektives und aktives Handeln ist von größter Bedeutung. Und zwar deshalb, weil die Streuung wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen wird. Die geringere geldpolitische Unterstützung in den Industrieländern und das Aufkommen struktureller Trends wie Deglobalisierung, Dekarbonisierung und Digitalisierung haben sich erheblich auf die Schwellenmärkte ausgewirkt und zu einer größeren Streuung und Volatilität geführt. Angesichts der geringeren Liquidität der Zentralbanken müssen sich Unternehmen und Länder auf ihre spezifischen Elemente wie ihre Bilanzen und Geschäfts-/Wirtschaftsmodelle verlassen, um Werte zu schaffen und ihre Schulden zurückzuzahlen. In solchen Fällen wird es eine größere Differenzierung zwischen den Gewinnern und den Verlierern geben, und es ist wichtig, dass die Auswahl der Anleihen auf einer fundamentalen Bottom-up-Analyse beruht, um sich in einem volatilen Umfeld zurechtzufinden.

Arrian Correns ist seit 2024 Redakteur bei dpn – Deutsche Pensions- und Investmentnachrichten. Seine ersten Schritte im Journalismus machte der studierte Staatswissenschaftler im Lokaljournalismus. 2023 wechselte er mit dem Volontariat im Fachverlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in den Finanzjournalismus. In dieser Zeit schrieb Arrian Correns auch für die dpn-Schwesterpublikationen „FINANCE Magazin“ und „Die Stiftung“. Arrian Correns befasst sich heute vor allem mit Themen der institutionellen Kapitalanlage und der Digitalisierung der Investmentbranche.

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