Die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV) müssen einiges an Regulatorik aushalten. Im Hinblick auf das Pensionsvermögen, das hierzulande mehrere hundert Milliarden Euro schwer ist und weiter stetig steigt, sind Sicherheitsmaßnahmen enorm wichtig. Das Vertrauen in alle drei Säulen des deutschen Rentensystems ist die Grundlage für Wohlstand im Alter. In der Regulatorik ist die „eigene Risikobeurteilung“, kurz ERB, ein noch relativ junges Sicherheitsinstrument. Der Begriff der ERB ist Ende 2016 über die Vorgaben der EbAV-Richtlinie II sowie über die Anpassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) eingeführt worden. Die ERB soll mindestens alle drei Jahre durchgeführt werden und eine Aussage zur Wirksamkeit des bei EbAV eingerichteten Risikomanagementsystems (RMS) treffen. Es soll insbesondere eine Aussage getroffen werden, inwieweit die in der Risikostrategie festgelegten Ziele des RMS erreicht wurden. Dabei wird eine Art Soll-Ist-Abgleich vorgenommen und geprüft, ob diese Ziele weiterhin angemessen sind.
Die gesetzlich verbindlichen Bestandteile der ERB hat die BaFin in ihrem Rundschreiben „Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an die ERB von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung“ vom 30. Dezember 2020 niedergeschrieben. Im Sommer 2022 folgte die Publikation „EbAV: BaFin-Hinweise für bessere eigene Risikobeurteilung“. Zur Durchführung der ERB in den EbAV ist es wichtig, die Systematik der einzelnen Bestandteile der ERB nachzuvollziehen und abzuarbeiten. Eine Hilfestellung und Orientierung bietet der am 17. Januar 2024 vorgelegte Ergebnisbericht „Umsetzung der ERB bei Einrichtungen der bAV“ der DAV und des IVS.
Den Schwerpunkt der ERB bildet die Beurteilung des gesamten Finanzierungsbedarfs sowie die Beschreibung erforderlicher (weiterer) Maßnahmen zu dessen Bedeckung. Folgende vier Bereiche/Dimensionen muss die Beurteilung mindestens abdecken:
- Bedeckung der technischen Passiva
- Kapitalausstattung (Bedeckung der Solvabilitätskapitalanforderung)
- Risikotragfähigkeit (Bedeckung der wesentlichen Risiken)
- Liquidität
Bei diesen vier Bereichen handelt es sich um unterschiedliche Steuerungsdimensionen, die grundsätzlich parallel zu behandeln sind. Für jede einzelne Dimension können unterschiedliche Risikotreiber und Steuerungsgrößen maßgeblich sein. Deshalb sind in der Dokumentation jeweils quantitative Angaben erforderlich. Laut dem ERB-Rundschreiben sind zwingend die handelsrechtlich und aufsichtsrechtlich vorgegebenen Bewertungsmethoden zu verwenden. Zusätzlich können auch andere, von der EbAV im eigenen Ermessen gewählte Methoden verwendet werden, wie etwa die des Aktiv-Passiv-Managements (Asset Liability Management – ALM) oder der „Common framework for risk assessment and transparency of IORPs“ der europäischen Finanzaufsicht EIOPA.
Die Punkte 1 bis 3 unterliegen zusätzlich einem zwingend mehrjährigen Betrachtungszeitraum von mindestens fünf Jahren. Dabei ist zu untersuchen, welcher Finanzierungsbedarf sich über diesen Zeitraum, bezogen auf jede einzelne dieser drei Dimensionen, ohne Berücksichtigung des Eintritts von Risiken ergibt. In mindestens einem weiteren Szenario ist der Eintritt von Risiken zu berücksichtigen. In diesem Szenario ist ebenfalls der Finanzierungsbedarf in diesen drei Dimensionen über den gesamten Betrachtungszeitraum zu beurteilen.
Bedeckung der technischen Passiva
Die technischen Passiva beinhalten die Bilanzpositionen Beitragsüberträge, Deckungsrückstellung, Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle und Rückstellung für Beitragsrückerstattung. Die technischen Passiva sollten in der Projektion über den gesamten Betrachtungszeitraum durch das Sicherungsvermögen (Buchwert und Zeitwert) bedeckt werden können. Bei drohenden Unterdeckungen sollten mögliche Gegenmaßnahmen im Rahmen der ERB eruiert werden. Beispielsweise können bei der Buchwertbetrachtung die Marktwerte der Kapitalanlagen des Sicherungsvermögens berücksichtigt werden, um vorhandene stille Reserven und Lasten in die Beurteilung einzubeziehen. Von besonderer Bedeutung ist, dass die für die Berechnung der technischen Passiva verwendeten Rechnungsgrundlagen ausreichend sicher sind. Im Rahmen der ERB kann dabei auf vorhandene Untersuchungen zurückgegriffen werden, wie etwa auf die des verantwortlichen Aktuars und versicherungsmathematische Funktionen.
Die Untersuchungen beziehen sich insbesondere auf die Rechnungsgrundlagen erster Ordnung, die zur Berechnung der Deckungsrückstellung verwendet werden. Diese müssen ausreichende Sicherheiten gegenüber einer Bestandsentwicklung gemäß Best-Estimate-Annahmen (Rechnungsgrundlagen zweiter Ordnung) ausweisen. Daneben sind in der Projektion weitere Annahmen wie die Notwendigkeit zur Verstärkung von Rechnungsgrundlagen sowie zur Überschussbeteiligung in die Beurteilung mit einzubeziehen. Die Bedeckung der technischen Passiva durch das Sicherungsvermögen sowie die Sicherheiten der verwendeten Rechnungsgrundlagen sind nicht nur im erwarteten Szenario, sondern auch unter Berücksichtigung des Eintritts möglicher Risiken zu beurteilen (Negativszenarien). Dabei kann es sich um aktivseitige (Kapitalanlage) oder passivseitige (Biometrie, Kosten, Versicherungsnehmerverhalten) Risiken handeln. Dies ist bei den Festlegungen für das Negativszenario zu berücksichtigen.
Die Angemessenheit der Kapitalausstattung kann über die Bedeckung der projizierten Solvabilitätskapitalanforderung beurteilt werden. Zudem sollte eine Bewertung der Qualität der Eigenmittel insbesondere im Sinne der Verfügbarkeit auch im Krisenfall erfolgen. Zum Beispiel müssen hier vorhandene Bewertungsreserven daraufhin überprüft werden, ob sie ansetzbar und realisierbar sind. Im BaFin-Rundschreiben vom 20. April 2021 werden die gesetzlichen Grundlagen zur Solvabilität im VAG, in der Kapitalausstattungs-Verordnung und in der Pensionsfonds-Aufsichtsverordnung umfassend dargestellt. Es gibt aber auch Anforderungen an die Bedeckungsquote der aufsichtsrechtlichen Solvabilitätskapitalanfordrung.
Die Bedeckungsquote, also das Verhältnis von Eigenmitteln zur Solvabilitätskapi-talanforderung, muss in allen Jahren des Betrachtungszeitraums mindestens 100 Prozent betragen. EbAV können in ihrer Risikostrategie eigene Warnschwellen definieren. EbAV, die Mitglied im gesetzlichen Sicherungsfonds der Lebensversicherer (Protektor Lebensversicherungs-AG) sind, haben eine Warnschwelle für das Verhältnis von Eigenmitteln zur Solvabilitätskapitalanforderung zu beachten. Grund: Eine Bedeckungsquote von 125 Prozent oder weniger löst bei Protektor Prüf- und Informationsrechte aus.
Risikotragfähigkeit und Risikobudget
Die Bedeckung der wesentlichen Risiken ist anhand eines individuellen Risikotragfähigkeitskonzepts zu beurteilen. Darin muss die verfügbare Risikodeckungsmasse als ein „Euro“-Betrag den wesentlichen Risiken gegenübergestellt werden. Auch wenn die aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von EbAV (MaGo) an keiner Stelle explizit vorschreiben, dass die wesentlichen Risiken in einem Betrag
(= Risikokapitalbedarf) aggregiert bewertet werden müssen, kann ein Vergleich der Risiken mit der Risikodeckungsmasse nur dann sinnvoll erfolgen, wenn auch der Risikokapitalbedarf in einem Euro-Betrag ermittelt wird. Da weder im Aufsichtsrecht noch seitens der Aufsichtsbehörde verbindlich oder fakultativ vorgegebene Methoden existieren, ist jede EbAV zur Entwicklung eines unternehmenseigenen Risikotragfähigkeitskonzepts gezwungen. Das kann auch vorteilhaft sein, weil individuelle Besonderheiten angemessen im Konzept berücksichtigt werden können, andererseits sieht sich jede EbAV mit einer Vielzahl methodischer Fragestellungen konfrontiert.
Bevor die Beurteilung der Bedeckung der wesentlichen Risiken im Rahmen der ERB betrachtet wird, sind zunächst einige Grundüberlegungen zu Risikotragfähigkeitskonzepten sinnvoll. DAV und IVS weisen ausdrücklich darauf hin, dass angesichts der sehr individuellen Situation jeder einzelnen EbAV keine allgemeingültige Musterlösung im Sinne einer Standardformel das Ziel des Ergebnisberichts sein kann. Vielmehr geht es darum, in der Praxis aufgetretene Leitfragen bei der Entwicklung/Umsetzung eines internen Risikotragfähigkeitskonzepts zu sammeln und einen Überblick über mögliche konkrete Herangehensweisen und Methoden zur Verfügung zu stellen.
Bei allen Unterschieden in den Herangehensweisen gibt es eine Gemeinsamkeit, die für nahezu alle Risikotragfähigkeitskonzepte zutreffen sollte: Das Risikotragfähigkeitskonzept liefert eine stichtagsbezogene Bewertung der vorhandenen Risikodeckungsmasse und des bestehenden Risikokapitalbedarfs in Euro. Kurzum: Die Risikotragfähigkeit ist gegeben, wenn die Risikodeckungsmasse größer (gleich) als der Risikokapitalbedarf ist.
Folgende sechs Leitfragen haben die Autoren des Ergebnisberichts in diesem Zusammenhang formuliert und präzisiert:
Wird eine buch- oder marktwertorientierte Sicht auf die Bilanz eingenommen?
Welche Mittel können als Risikodeckungspotential/Risikodeckungsmasse angesetzt werden?
Welche Risiken oder Risikoauswirkungen sollen für den Risikokapitalbedarf berücksichtigt werden?
Wie soll mit langfristig wirkenden/schleichenden Entwicklungen umgegangen werden (Stresstests und Szenarioanalysen)?
Können/sollen eigene Methoden zur Risikobewertung angewendet werden (Validierung)?
Welches Risikomaß kann verwendet werden?
Liquiditätsausstattung
Bei der Beurteilung des gesamten Finanzierungsbedarfs ist auch die Liquidität der EbAV zu betrachten. Hierbei ist zu überprüfen, ob die Einrichtung ihren finanziellen Verpflichtungen bei der jeweiligen Fälligkeit nachkommen kann.
Die Betrachtung der Liquidität sollte in einem geeigneten Betrachtungszeitraum erfolgen. Der Zeitraum der Unternehmensplanung würde sich hierfür anbieten. Die Verwendung eines kürzeren Zeitraums sollte allerdings nachvollziehbar begründet werden. Als Basis ist eine Liquiditätsplanung durchzuführen, welche die erwarteten Zahlungseingänge und -verpflichtungen berücksichtigen sollte. Ergänzend sollten auch mögliche adverse Szenarien einschließlich Stresstests analysiert werden. Das heißt, dass möglicherweise ein zusätzlicher Liquiditätsbedarf durch erhöhte Zahlungsverpflichtungen entsteht oder aufgrund nachteiliger Entwicklungen weniger liquide Mittel vorhanden sind.
Bei der Bewertung des Liquiditätsbedarfs sollte auch berücksichtigt werden, wie liquide oder illiquide einzelne Mittel sind. Dies muss überwacht und die Liquiditätsplanung bedarfsgerecht angepasst werden, um das Liquiditätsrisiko nach den strategischen Festlegungen in der Risikostrategie zu steuern. Der Ergebnisbericht schlägt die Aufstellung und den Ansatz einer Liquiditätsrichtlinie vor, in der Liquiditätskriterien verankert werden. Damit ließe sich das Liquiditätsrisiko steuern und eine ausreichende Liquiditätsausstattung der Gesellschaft sicherstellen.
Für die Betrachtung der langfristigen Liquidität ist auch das Asset Liability Management bedeutsam. Damit wird eine Abstimmung der zukünftigen Zahlungsströme aus Vermögensanlagen, Prämien und Verpflichtungen aktiv gemanagt. Zur Steuerung der Liquidität könnte auch das Vorhalten einer Liquiditätsreserve sinnvoll sein. Diese schützt vor unerwarteten Liquiditätsengpässen. Im Rahmen dieser Betrachtungen sollten sowohl aktivseitige Aspekte wie beispielsweise die Fungibilität von Kapitalanlagen als auch passivseitige Aspekte wie zum Beispiel adverse biometrische Leistungsentwicklungen genauer betrachtet werden.
Fragen an Herrn Helmut Aden:
Was sind die wesentlichen inhaltlichen Unterschiede zum Vorgängerbericht vom Sommer 2021?
Der erste Ergebnisbericht zur Umsetzung der ERB wurde im Juli 2021, kurz nach der Veröffentlichung des Rundschreibens der BaFin, veröffentlicht. An den aufsichtsrechtlichen Anforderungen hat sich seitdem nichts verändert. Es gibt inzwischen jedoch praktische Erfahrungen sowohl auf Seiten der EbAV als auch bei der Aufsicht. Diese sind in die Überarbeitung des Ergebnisberichts eingeflossen. Erwähnenswert sind insbesondere die Kriterien für die Durchführung einer nichtregelmäßigen ERB, die Aspekte der Nachhaltigkeit sowie die Methoden zur Bestimmung des gesamten Finanzierungsbedarfs. Letzteres sind Überlegungen zu einem unternehmenseigenen Risikotragfähigkeitskonzept.
Welche Rolle spielen bei der Beurteilung des gesamten Finanzierungsbedarfs die unterschiedlichen Steuerungsdimensionen und welche birgt den höchsten Aufwand?
Für die Steuerung einer EbAV gibt es vier zentrale Größen: Bedeckung der versicherungstechnischen Passiva, Kapitalausstattung, Risikotragfähigkeit und Liquidität. Diese vier Steuerungsdimensionen müssen mindestens zur Beurteilung des gesamten Finanzierungsbedarfs betrachtet werden. Aus jeder kann ein Finanzierungsbedarf für die EbAV entstehen. Die Beurteilung der Risikotragfähigkeit ist jedoch am aufwendigsten, da es keine allgemeingültigen aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu Methoden und Verfahren gibt und alle individuellen Besonderheiten einer EbAV berücksichtigt werden müssen.
Die im Ergebnisbericht vorgestellten Ansätze zur Umsetzung sind als Hinweise zu einzelnen Aspekten der ERB zu verstehen. Welche anderen Vorgehensweisen sind außerdem möglich?
Andere Vorgehensweisen, die von Versicherungsunternehmen unter Solvency II angewendet werden müssen, wie zum Beispiel die Verwendung des Common Frameworks mit seiner Marktwertbetrachtung, können auch von einer EbAV genutzt werden. Da die Steuerung einer EbAV jedoch grundsätzlich nach handelsrechtlichen Vorschriften erfolgt, kann dies gegebenenfalls zu unangemessenen Ergebnissen führen. Aus diesem Grund liegt den im Ergebnisbericht dargestellten Ansätzen eine HGB-Sicht zugrunde. Nur für Kapitalanlagen wird eine Marktwertbetrachtung berücksichtigt, um die Entwicklung von stillen Reserven als möglichem Risikopuffer, und von Lasten zu erfassen.
Wie beurteilen Sie insgesamt den zeitlichen und personellen Aufwand bei der Erstellung des ERB-Berichts in den EbAV?
Der Aufwand zur Erstellung des ERB-Berichts hängt unter anderem vom Risikoprofil der EbAV und dem möglichen Einsatz standardisierter Werkzeuge ab. Aus den Erfahrungen einiger Pensionskassen lässt sich jedoch ein zeitlicher Aufwand von ein bis zwei Monaten mit einem Personalaufwand von 40 bis 60 Personentagen abschätzen.
Goran Culjak ist Redakteur bei dpn – Deutsche Pensions- & Investmentnachrichten. Davor arbeitete er bei PLATOW als Fachredakteur für Versicherung und Altersvorsorge und etablierte die Risikomanagementkonferenz. Der Diplom-Betriebswirt (FH) startete 2004 als Pressereferent bei Union Investment seine berufliche Laufbahn.