Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einer tiefen Krise. Nach den Vorwürfen gegen Teile der Führung von RBB und NDR, hat im vergangenen Herbst der Bayerische Oberste Rechnungshof dem Bayerischen Rundfunk (BR) eine Lehrstunde in Sachen Geldanlage erteilt. Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht seit längerer Zeit in der Kritik – vor allem die Finanzierung. So hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) in ihrem letzten (Zwischen-)Bericht Gesamtaufwendungen in Höhe von 38,7 Milliarden Euro für die Beitragsperiode 2021–2024 anerkannt. Für diesen Zeitraum wurde auch ein ungedeckter Finanzbedarf von insgesamt 1,5 Milliarden Euro festgestellt. Die KEF berichtet den Landesregierungen alle zwei Jahre über die Finanzlage der Rundfunkanstalten. Dabei legt sie in der Regel abwechselnd einen Beitragsbericht mit Empfehlungen zur Beitragshöhe oder einen Zwischenbericht vor. Im Beitragsbericht empfiehlt die Kommission auf der Basis des ermittelten Finanzbedarfs, ob und in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt eine Änderung des Rundfunkbeitrags erforderlich ist. Im Zwischenbericht werden Prognosen der Kommission geprüft und Veränderungen dokumentiert. Aktuell liegt der 23. Zwischenbericht (Stand: Februar 2022) vor.
Die Vergütungen im Rahmen der Personalaufwendungen sind nur ein Teil des Finanzproblems, das die Rundfunkanstalten belasten. Der angemeldete finanzbedarfswirksame Nettoaufwand für die bAV von ARD, ZDF und Deutschlandradio beträgt für den Zeitraum 2021 bis 2024 insgesamt 2,7 Milliarden Euro. Gegenüber 2017 bis 2020 ist das ein Anstieg in Höhe von über 246 Millionen Euro. Dabei ist die ARD strukturell stärker betroffen. Die Ableitung des Bruttoaufwands (drei Milliarden Euro) aus dem Nettoaufwand zeigt, dass die Erträge bei der ARD und Deutschlandradio im Verhältnis zum Bruttoaufwand eine deutlich größere Bedeutung haben als beim ZDF. Dies ist eine Folge der jeweils unterschiedlichen Abdeckung der Versorgungsverpflichtungen durch Deckungsstöcke bei den Anstalten selbst oder über Pensionskassen und Versicherungen.
Altverträge machen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schaffen
Im vergangenen Jahr erschien es den Experten des KEF-Berichts zufolge noch denkbar, den Bruttoaufwand in Zukunft bei einem Niveau von knapp drei Milliarden Euro zu stabilisieren. Die Entwicklung des Nettoaufwands werde dann entscheidend davon abhängen, ob und wie stark sich die Zinserträge aus den Deckungsstöcken weiter reduzieren oder ob es umgekehrt zumindest zu einem leichten Wiederanstieg kommt. Der Bericht wies Anfang 2022 noch darauf hin, dass die niedrigen und möglicherweise weiter sinkenden Zinsen weitere Risiken beinhalten, die in der sogenannten BilMoG-Deckungsstocklücke und der Situation der Pensionskassen zum Ausdruck kommen. BilMoG steht für Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz. Mittlerweile sind die Zinsen aber wieder gestiegen. Insbesondere Altverträge machen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei der bAV zu schaffen. Das Verpflichtungsvolumen beläuft sich allein bei diesen Verträgen auf 8,4 Milliarden Euro. Seit 1994 werden Neueinstellungen über Pensionskassen versichert.
Die Differenz zwischen den Pensionsrückstellungen und dem Bestand der Deckungsstöcke zur Abdeckung der Verpflichtungen aus den alten Tarifverträgen TVA/ VO wird als Deckungsstocklücke bezeichnet. Diese Lücke ergibt sich insbesondere daraus, dass seit 2010 für die Bemessung der Pensionsrückstellungen das BilMoG anzuwenden ist. Der sich daraus ergebende zusätzliche Aufwand ist nicht liquiditätswirksam und wird von den Rundfunkanstalten – in Abstimmung mit der Kommission – bisher nicht angemeldet.
Causa um Ex-RBB-Intendantin stellt das ganze System in Frage
Bereits 2016 hatte die F.A.Z. in ihrem Beitrag „Öffentlich-rechtliche Rentneranstalt“ über die horrenden Rentenausgaben berichtet. Daran hat sich bis heute nichts geändert, weshalb die Headline an Aktualität nicht eingebüßt hat. Die Causa um Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat im vergangenen Jahr das ganze System in Frage gestellt. Viel zu lange haben ARD und ZDF ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern üppige Renten versprochen. Tarifverträge bestimmen über die Gehälter festangestellter Mitarbeitender im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese Tarifverträge schließen die Rundfunkanstalten zusammen mit den Gewerkschaften für eine bestimmte Laufzeit. Die Abschlüsse orientieren sich an den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst. Einzelne Berufe sind dabei in verschiedene Vergütungsgruppen eingeteilt. Das heißt beispielsweise, dass Redakteurinnen und Redakteure anders vergütet werden als Menschen in der Technik. Einige Beschäftigte werden aufgrund ihrer Funktion und Verantwortung, wie in der freien Wirtschaft üblich, außertariflich bezahlt. Dazu gehören alle Mitglieder der Geschäftsleitung wie Intendanz, Programm- und Verwaltungsdirektion, genauso wie Hauptabteilungsleitungen. Die Intendanz schlägt die Höhe der außertariflichen Vergütung vor. Der Verwaltungsrat des Senders muss als Aufsichtsgremium dem Vorschlag zustimmen, bevor ein Vertrag in Kraft tritt. Die Verträge von außertariflich Festangestellten sind grundsätzlich befristet.
Aus diesem Finanzdilemma herauszukommen, ist nicht einfach. Das weiß auch Jan Büttner, Vorsitzender der ARD-Finanzkommission. Zwar hat die KEF für den Zeitraum 2021 bis 2024 den Nettoaufwand für die bAV mit knapp 2,7 Milliarden Euro festgelegt, doch „aus Respekt vor dem KEF-Verfahren“ will sich der Finanzexperte „zum laufenden Anmeldeverfahren“ beziehungsweise zur aktuellen und künftigen Kostenentwicklung im Interview (siehe Hinweis unten) nicht äußern.
Ältere Anstalten sind stärker belastet
In der ARD sieht Büttner die bAV jedoch zukunftssicher aufgestellt. Was die Aufwände für die Pensionen anbelangt, bringt es Büttner auf folgende Formel: Bereits lange bestehende Anstalten mit einem relativ hohen Bestand an Verpflichtungen aus der alten Gesamtversorgung seien stärker belastet als jüngere Anstalten.
Dass Büttner derzeit der ARD-Finanzkommission vorsteht, beruht auf einem Obligatorium. Der ARD-Vorsitz ist 2023 vom WDR zum SWR gewechselt. Das haben die Intendantinnen, Intendanten und Gremienvorsitzenden der ARD-Rundfunkanstalten am 14. September 2022 beschlossen. Damit hat der SWR diese besondere Aufgabe früher als ursprünglich geplant für den öffentlich-rechtlichen Medienverbund übernommen. Neuer ARD-Vorsitzender ist SWR-Intendant Kai Gniffke. Er folgt auf Tom Buhrow, der das Amt des ARD-Vorsitzenden nach dem Rücktritt von Patricia Schlesinger (RBB) Anfang August 2022 übergangsweise übernommen hatte. WDR-Intendant Buhrow ist – wie in der ARD üblich – von 2023 an stellvertretender Vorsitzender. In der ARD wechselt der Vorsitz in der Regel turnusmäßig alle zwei Jahre. Dahinter steht der Vielfaltsgedanke, der die föderale Sendergemeinschaft prägt. Zur ARD gehören neun regional verankerte Landesrundfunkanstalten, außerdem der Auslandssender Deutsche Welle.
Rundfunkgebühren werden zum Spielball
Mittlerweile erhöhen die Rundfunkanstalten den Druck auf die Politik, um dem Kostendilemma zu entkommen. Die unmissverständliche Ansage von ARD-Chef Gniffke, für eine Erhöhung der Rundfunkgebühren „kämpfen“ zu wollen, sorgt für Diskussionen und Widerspruch in den Bundesländern. Gleich mehrere Ministerpräsidenten sprechen sich derzeit (noch) gegen die Erhöhung der Rundfunkgebühr aus, darunter Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sowie die niedersächsische Staatskanzlei in Hannover. Die Landesparlamente entscheiden am Ende über eine mögliche Erhöhung der Rundfunkgebühren. Zuletzt hatte es bereits 2021 eine Erhöhung der Beiträge gegeben. Das ist für Schwesig auch der Hauptgrund, der gegen eine Erhöhung spricht. Für sie sind zunächst Einsparungen der richtige Weg.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wirft den Ball hingegen der KEF zu. Ob eine Erhöhung des Beitrags zur bedarfsgerechten Finanzierung notwendig sei, habe zunächst die KEF zu beurteilen. Die Neutralität der Kommission gilt seit dem vergangenen Jahr als angeschlagen. Nach Recherchen der Volksstimme war herausgekommen, dass der frühere Präsident des Landesrechnungshofes Sachsen-Anhalt, Ralf Seibicke, zum Zeitpunkt von zwei in Frage stehenden Honorarverträgen mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) auch Mitglied der KEF war. Ihm wird zur Last gelegt, mit dem MDR die Gegenseite der KEF beraten zu haben. Seibicke hatte für drei Gutachten vom MDR rund 60.000 Euro Honorar erhalten. Die Öffentlich-Rechtlichen erstarren in absurden Strukturen. Sie sind ein Fall für radikale Reformen.
Hinweis der Redaktion:
Das Interview mit Jan Büttner, Vorsitzender der ARD-Finanzkommission, lesen Sie in unserem 14-tägigen Spezial-Newsletter „dpn Assets & Liabilities Update“. Der nächste Newsletter erscheint am 28. Juli 2023. Melden Sie sich hier an.
Goran Culjak ist Redakteur bei dpn – Deutsche Pensions- & Investmentnachrichten. Davor arbeitete er bei PLATOW als Fachredakteur für Versicherung und Altersvorsorge und etablierte die Risikomanagementkonferenz. Der Diplom-Betriebswirt (FH) startete 2004 als Pressereferent bei Union Investment seine berufliche Laufbahn.