Der Verzicht von US-Präsident Joe Biden auf eine erneute Kandidatur hat das politische Washington wachgerüttelt. Sollten die Demokraten Vize-Präsidentin Kamal Harris ins Rennen um das Weiße Haus schicken, hätten die US-Bürger eine echte Wahl. Auch die Finanzmärkte wurden von dem politischen Beben erfasst – zumindest kurzzeitig: Der Technologieindex Nasdaq 100 legte zu Wochenbeginn über 1,5 Prozent zu. Denn mit Harris als Präsidentin – so die Erwartung – dürfte es weniger Zölle im Handel mit China geben. Die Tech-Investoren, die in der vergangenen Woche aus Sorge vor einem Handelskrieg mit der Volksrepublik im Falle einer Trump-Wahl noch einen Bogen um den Sektor machten, kamen nun zurück. Und auch der breite S&P 500 konnte rund 1,1 Prozent zulegen. Doch wie kurz die Beine politischer Börsen sind, wurde zur Wochenmitte deutlich, als die Kursgewinne wieder nahezu komplett verflogen waren.
Unsicherheit nimmt zu
Dennoch hat der Rückzug Bidens aus dem Wahlkampf durchaus nachhaltige Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Im Duell Biden vs. Trump sahen Umfragen den Ex-Präsidenten klar vorn. Dieser Vorsprung dürfte gegenüber Harris kleiner werden, wodurch die Unsicherheit zwangsläufig zunimmt. Zumal aktuell noch gar nicht endgültig feststeht, ob die Demokraten Harris nominieren – auch das schürt die Unsicherheit. Und wenn die Kapitalmärkte etwas gar nicht mögen, dann ist es Unsicherheit. „Die bevorstehenden US-Wahlen und die politische Unsicherheit könnten die Märkte beeinflussen“, erwartet auch Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers.
Die Analysten der apoBank erwarten ebenfalls eine zunehmende Unsicherheit an den Märkten. „Eine klare Stoßrichtung für die Kurse an den Aktien- und Anleihemärkten ergibt sich aus den personellen Veränderungen bei den Demokraten erstmal nicht“, konstatieren sie jedoch. „Weil sich die (impliziten) Wahrscheinlichkeiten für die Ausgänge der Präsidentschafts- und Kongresswahlen nach Bidens Rückzug nicht entscheidend verschoben haben, gibt es auch keinen Grund für nennenswerte Kursbewegungen als Reaktion auf die Kapriolen in Washington.“
Höhere Inflation durch Trump-Wahl
Denn nach wie vor sehen die Umfragen Trump vorne: „Umfragen zufolge wird Donald Trump, der 45. Präsident der USA, auch der 47.“, so Iggo, was aus seiner Sicht zu höheren Langfristzinsen und Inflation führen werde. „Mit Blick auf das Wahlprogramm kann man vermuten, dass ein Sieg Trumps gut für Öl- und Gaswerte, Kryptowährungen, Künstliche Intelligenz sowie für Branchen ist, die vom Protektionismus oder von Deregulierung profitieren. Andererseits könnten eine expansivere Fiskalpolitik und inflationstreibende Maßnahmen Staatsanleihenrenditen und Kreditkosten der Unternehmen steigen lassen.“
Für Saira Malik, CIO von Nuveen, wird die demoskopische Entwicklung in den kommenden Wochen von großer Bedeutung sein: „Sollte die Nachricht über Präsident Bidens Rückzug aus dem US-Präsidentschaftsrennen dem ehemaligen Präsidenten Trump in den Umfragen einen Schub geben, könnte dies den Marktbereichen, die bereits mit erhöhten Aussichten auf einen republikanischen Wahlsieg im November gerechnet haben, wie dem Finanz- und Energiesektor, weiteren Auftrieb verleihen“, schreibt sie in ihrem wöchentlichen Kommentar. „Im umgekehrten Fall könnte dies ein Plus für die eher global ausgerichteten Bereiche bedeuten.“ Fest steht für sie aber eins: Die kurzfristige Volatilität wird sich aufgrund der gestiegenen politischen Unsicherheit erhöhen.
Patrick Daum ist Chef vom Dienst bei dpn-online. Er berichtet über alle Themen rund um das institutionelle Asset Management.

