Die finanzielle Lage der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen hat sich im ersten Halbjahr 2022 deutlich verschlechtert. Der durchschnittliche Deckungsgrad sank zwischen Ende 2021 und Ende Juni 2022 von 118,5 auf 103,4 Prozent.

Der steigende Inflationsdruck, die damit verbundenen Zinsanstiege, gestörte Lieferketten, Energiekrise, Ukraine-Krieg sowie die Covid-19-Pandemie in China haben im ersten Halbjahr 2022 für Einbrüche in fast allen Anlagekategorien gesorgt. Das bekamen auch Schweizer Vorsorgeeinrichtungen zu spüren: Waren sie per Ende 2021 mit einem durchschnittlichen Deckungsgrad von 118,5 Prozent finanziell noch sehr gut aufgestellt, sank dieser Wert per 30.06.2022 auf 103,4 Prozent. Dies zeigen die Hochrechnungen der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV), wobei eine Hochrechnung diese Verschlechterung in der Tendenz eher überschätzt, wie die OAK BV anmerkt, da der deutliche Zinsanstieg nicht in der Bewertung der Verpflichtungen reflektiert wird.

Knapp 40 Prozent der Pensionskassen sind in Unterdeckung

Laut der Oberaufsichtskommission befinden sich aktuell 285 Vorsorgeeinrichtungen rechnerisch in Unterdeckung (gegenüber 13 per Ende 2021). Bei diesen Einrichtungen wären die Vorsorgeverpflichtungen aktuell nicht zu 100 Prozent gedeckt. Kapitalgewichtet entspricht diese Unterdeckung einem Wert von 39,9 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen (gegenüber 0,1 Prozent per Ende 31.12.2021).

Fast alle Anlagekategorien erzielten negative Renditen

Nach einer sehr hohen durchschnittlichen Netto-Vermögensrendite von 8,0 Prozent für das Jahr 2021 zeigen sich in fast allen Anlagekategorien seit Jahresbeginn negative Renditen. Die durchschnittliche Rendite im ersten Halbjahr 2022 beträgt -12,3 Prozent. «Das zeigt auf, wie rasch und einschneidend sich Kurseinbrüche zumindest kurzfristig auf die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen auswirken können», wie die Oberaufsichtskommission erklärt.

Die stärksten Einbrüche im ersten Halbjahr 2022 zeigen sich in den Anlagekategorien Aktien (-17,4 Prozent), Obligationen (-10,1 Prozent), Immobilien (-9,5 Prozent) und alternative Anlagen (-15,4 Prozent). Demgegenüber konnten die Anlagekategorien Liquidität (-0,4 Prozent) und Infrastruktur (+1,2 Prozent) ihr Niveau in etwa halten.

Wertschwankungsreserven schrumpfen in der Krise

Das Anlegen von Vorsorgegeldern auf den Kapitalmärkten ist naturgemäss mit Risiken verbunden. Damit Vorsorgeeinrichtungen Schwankungen tragen können, sind sie gesetzlich verpflichtet, Wertschwankungsreserven zu bilden. Per Ende 2021 lag die durchschnittliche Zielgrösse der Wertschwankungsreserven bei 17,9 Prozent der Vorsorgekapitalien. Um ihre Verpflichtungen weiterhin zu garantieren, mussten viele Vorsorgeeinrichtungen in der ersten Jahreshälfte die Reserven anzapfen. Kapitalgewichtet verfügt nur noch jede dritte Vorsorgeeinrichtung (32,9 Prozent) über mehr als einen Drittel ihrer Wertschwankungsreserven.

Künftige Entwicklung der Finanzmärkte ist unsicher

Vorsorgeeinrichtungen sind langfristige Investoren und tendieren nicht zu kurzfristigen Änderungen ihrer Anlagestrategie. Entsprechend nehmen Vorsorgeeinrichtungen nötigenfalls auch periodische Unterdeckungen in Kauf. Dies ist vom Gesetz so vorgesehen und die Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008 bestätigen die Richtigkeit dieses Vorgehens.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen auf den Kapitalmärkten ist es besonders wertvoll, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Durchschnitt mit genügend Wertschwankungsreserven, also mit einem hohen Deckungsgrad in dieses Jahr starten konnten. Damit sind viele Vorsorgeeinrichtungen in der Lage, Verwerfungen auf den Kapitalmärkten ganz oder zumindest teilweise abzufedern. Die künftigen Entwicklungen der Finanzmärkte sind jedoch schwer abzuschätzen.

Über die OAK BV

Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV ist eine unabhängige Behördenkommission. Sie wird vollständig über Abgaben und Gebühren finanziert. Für die Direktaufsicht der Vorsorgeeinrichtungen sind die insgesamt acht regionalen Aufsichtsbehörden am Sitz der jeweiligen Einrichtung zuständig. Deren Oberaufsicht durch die OAK BV erfolgt unabhängig von Weisungen des Parlamentes und des Bundesrates. Direkt von der OAK BV beaufsichtigt werden hingegen die Anlagestiftungen sowie der Sicherheitsfonds und die Auffangeinrichtung. Zudem ist die OAK BV Zulassungsbehörde für die Experten für berufliche Vorsorge.

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