Frau Leitzbach, wie haben Sie als Leiterin des Portfoliomanagements von SOKA-BAU bislang die Corona-Krise erlebt?
Maria Leitzbach: Unser Team für das Portfoliomanagement umfasst insgesamt sieben Mitarbeiter. Wir bearbeiten dort alle Investitionsentscheidungen in allen Asset-Klassen von Private Equity über Infrastruktur bis hin zu liquiden Asset-Klassen. Per Ende Juni verwalten wir etwa 12 Milliarden Euro Assets under Management. Mit Beginn der
Corona-Krise sind wir alle ins Homeoffice gegangen. Das hat vor allem die Form verändert, wie wir zu Entscheidungen kommen. Beispielsweise mussten wir schnell die Frage klären, wie wir uns mit dem Vorstand abstimmen. Die verhängten Reisebeschränkungen hatten natürlich Einfluss darauf, welche Due Diligence wir vor Ort durchführen sollten und konnten und welche nicht. Dieser Umstand hat aber unsere Schnelligkeit, das strukturierte Vorgehen bei Investitionsentscheidungen und unsere strategischen Zielsetzungen insgesamt nicht beeinflusst.
Uwe Siegmund: Bei der R+V ist die Kapitalanlage für 15 Versicherungen und Pensionsrichtungen zentralisiert. Wir haben dafür ein eigenes Vorstandsressort und betreiben die Kapitalanlage im Wesentlichen selbst mit allen Funktionen des Front, Middle und Back-Offices. Dadurch haben wir ein Gesamtteam von rund 250 Mitarbeitern. Insgesamt verwalten wir Assets im Wert von 120 Milliarden Euro. Der Anteil der Pensions daran beträgt 15 bis 20 Prozent. Etwa die Hälfte unseres Leben-Neugeschäfts kommt aus der betrieblichen Altersversorgung, und auch in der Corona-Krise ist dieses Geschäft nicht abgerissen. Obwohl das Frühjahr für uns alle dramatisch war, haben wir – richtigerweise – nicht in die Strategische Asset-Allocation eingegriffen, sondern nur in die taktische Asset-Allocation, beispielsweise durch Umschichtungen und Nichtkäufe. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir nicht vorhersehen, dass sich die Märkte so schnell erholen würden. In der Strategischen Asset-Allocation gehen wir seit einigen Jahren verstärkt in alternative Anlagen und in Substanzwerte, also in Aktien und Immobilien.
Otto Hörner: Mein Team ist Teil des globalen Asset Managements der BASF Gruppe und führt die Kapitalanlage für recht unterschiedliche Rechtsträger durch, die wir im Konzern haben. Dazu zählt beispielsweise die BASF Pensionskasse mit etwa 10 Milliarden Euro an Assets, aber auch kleinere Rechtsträger wie eine Captive Insurance Company und zwei Stiftungen, deren Vermögensverwaltung wir ebenfalls durchführen. Daneben gibt es ein CTA mit einem eigenen Investment-Team und rund 6 Milliarden Euro Assets sowie Mitarbeitern, die sich um die großen ausländischen Pensionspläne in den USA, in UK und der Schweiz kümmern.
Für die weltweiten Pläne halten wir auch eine Governance-Funktion bereit. Allein die Defined-Benefits-Assets belaufen sich auf 20 Milliarden Euro global. Und die DC-Assets gehen noch mal weit darüber hinaus. Ich bin selbst beispielsweise Trustee und Mitglied des Investmentkommitees in UK und den Anlageausschüssen in der Schweiz. Den Corona-Crash im März haben wir gut gemeistert. Die Teams sind sehr schnell ins Homeoffice gegangen, alle Termine wurde auf Webex umgestellt. Dies hat hervorragend funktioniert, sobald die Leitungskapazitäten vollständig verfügbar waren. Im kurzfristigen Bereich haben wir zunächst viel genauer als sonst hingeschaut. Die Liquiditätssteuerung hatte Priorität, um vorbereitet zu sein für den Fall, dass beispielsweise plötzlich Collateral-Abrufe aus Hedging-Geschäften kommen. Die Flucht in den sicheren Hafen US-Dollar hat zunächst Liquidität gebunden. Natürlich haben wir uns auch die Performance der liquiden Anlagen, also Aktien und Corporate Bonds, sehr genau angeschaut. Die Einschläge dort sehen wir ja sofort, Fokus hatten die Solvabilitätsanforderungen an die regulierten Vehikel, welche aufgrund der guten Performance in 2019 über sehr gute Puffer verfügten.
Die große Frage war aber, was bei den Alternatives passiert. Seit fünf, sechs Jahren bauen wir den Alternatives-Bereich sehr stark aus. Vor allem Private Equity und Infrastructure-Equitysind für uns große Investment-Themen, aber auch Private Credit. Dort habe ich immer einen Nachlaufeffekt aufgrund der erst später eintreffenden Bewertungen. Deshalb haben wir ein detailliertes Monitoring- und Controlling-System hierfür aufgebaut, um die Effekte besser vorhersehen zu können. Auf dem Höhepunkt der Krise haben wir aber nicht in die Strategische Asset-Allocation eingegriffen, lediglich mehr taktisch bei Corporate-Bonds das Exposure reduziert. Wir haben uns aber auch auf Rebalancing-Chancen vorbereitet und hierfür ein chancenorientiertes Konzept ausgearbeitet.
Dustin Neuneyer: Mit Blick auf PRI und Sustainable Finance im weitesten Sinn hat die Corona-Pandemie bislang insgesamt nicht negativ gewirkt, sondern das Bewusstsein der Investoren für die Resilienz des Portfolios und globale Herausforderungen sogar geschärft.
Wie bewerten Sie die Marktdurchdringung des ESG-Themas bei institutionellen Investoren in der Vor-Corona-Zeit?
Dustin Neuneyer: Auf dem deutschen Markt haben wir im Zusammenhang mit ESG in den vergangenen Jahren einen grundlegenden Wandel erlebt. Noch vor zwei Jahren haben wir in Deutschland ein zurückhaltendes Interesse am Thema festgestellt. Die Investoren haben sich hierüber erst einmal informiert. Im internationalen Vergleich war der deutsche institutionelle Markt Sustainable Finance sicher nicht von Anfang an dabei, sondern eher ein Nachzügler. Das hat sich – unabhängig von Corona – hierzulande in den zurückliegenden Monaten vollkommen verändert. Wir sehen jetzt viele Unternehmen, die den PRI-Principles beitreten. Wir reden hier von einer jährlichen Zuwachsrate in Höhe von circa 40 Prozent. In unserem abgelaufenen Geschäftsjahr, das jeweils von April bis März geht, haben wir einen außerordentlichen Zuwachs um 78 Prozent bei deutschen Asset-Ownern verzeichnet.
Worauf führen Sie den Zuwachs zurück – auf einen aktuellen Trend oder auf die Regulatorik?
Dustin Neuneyer: Die Gründe sind vielfältig. Die
politisch-regulatorische und aufsichtsrechtliche Dimension ist wohl der größte Treiber dieser Entwicklung. Seit 2018 hat die Europäische Kommission in Brüssel den Aktionsplan für nachhaltiges Wirtschaften auf den Weg gebracht. Dieser Aktionsplan betrachtet die Gesamtwirtschaft und definiert in der Taxonomy, was sich als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert. Tatsächlich richtet er sich dabei aber ganz zentral auf die Finanzwirtschaft. Die Unternehmen sollen Sustainability von der Investitionsanalyse über die Risikosteuerung und das Portfoliomanagement bis zum Reporting systematisch implementieren, berücksichtigen und transparent gestalten.
Diese Politik und Regulatorik setzt sich über die Aufsichtsbehörden auf europäischer und nationaler Ebene fort. Die europäischen Aufsichtsbehörden haben im Auftrag der EU-Kommission einen ersten Vorschlag für die technischen Regulierungsstandards für die Offenlegung erarbeitet und zur Diskussion gestellt. Ebenso hat die BaFin ein entsprechendes Merkblatt herausgegeben. Das alles hat in den deutschen Unternehmen wahrscheinlich den stärksten Schub ausgelöst. Hinzu kommt die immer stärkere Wahrnehmung des Klimawandels in seinen verschiedenen Formen. Die große Bedeutung und die schon jetzt spürbaren Folgen betreffen jeden Wirtschaftssektor.
Wie schon lange im Energiesektor kommen wir jetzt auch in der Gesamtwirtschaft nicht nur zu der Erkenntnis, dass wir hier gegensteuern müssen, sondern wir setzen auch Gegenmaßnahmen konkret um. Deutschland war hier mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Vorreiter. Die Aktivitäten hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz sehen wir jetzt in der Breite. Klimawissenschaftler sprechen immer vom Tipping Point, wenn ein Klimawandelphänomen einen großen und sich selbst verstärkenden Effekt hat. Nach meiner Ansicht stehen wir derzeit bei Sustainable Finance an einem solchen Wendepunkt. Jetzt haben wir eine kritische Masse der Investoren erreicht, die in nachhaltige Anlagen geht. Die Topentscheider für Investitionen haben den Handlungsbedarf an dieser Stelle erkannt und gehen jetzt zur Implementierung über. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber der Situation noch vor zwei Jahren. Die Thematik hat seitdem in der Finanzwirtschaft, in der Gesamtwirtschaft und in der Gesellschaft eine gewaltige Eigendynamik erreicht.
Maria Leitzbach: Das ist genau der Ansatz von SOKA-BAU. Der Kunde, der sein Geld von anderen anlegen lässt, hat heute andere Ansprüche an die Kapitalanlage als noch vor einigen Jahren. Die jüngere Generation, aber auch die sich verändernde Gesellschaft, fragt verstärkt nachhaltige Produkten und aktiv unterstützen. Die Erzielung einer besseren risikoadjustierten Rendite steht dabei im Vordergrund. Risiken im Zusammenhang mit
ESG-Aspekten sollen minimiert werden und sind Teil unseres Analyseprozesses. Dieser Trend hat sich im Verlauf der Corona-Krise bestätigt bzw. verstärkt. Auch gibt es längst die eine oder andere Anlageposition, die ein Investor aus ESG-Gründen besser nicht im Portfolio haben sollte. Durch solche Ausschlüsse tragen wir als Investoren in verschiedenen Dimensionen zu einer besseren Umwelt bei.
Wann hat sich Ihr Unternehmen erstmals näher mit Sustainable Finance auseinandergesetzt?
Otto Hörner: Nachhaltigkeit steht in der BASF-Gruppe ganz oben auf der Agenda und ist Teil unserer Unternehmensstrategie. Wir in der Kapitalanlage haben sicher bereits vor zehn Jahren mit den ersten Ausschlusskriterien begonnen. Vor drei Jahren haben wir damit angefangen, ein Modulsystem aufzubauen, weil wir ESG als den großen Zukunftstrend identifiziert haben, ohne zu wissen, wohin die Reise an den Kapitalmärkten genau gehen wird. Wir haben also einzelne nach Themen gegliederte Module entwickelt, die wir jetzt flexiblel an die weitere Entwicklung anpassen können.
Ein nächster Schritt war die Einführung eines ESG-Scoringsystems bei der Managerauswahl. Die Ausübung von Stimmrechten ist uns ebenfalls ein großes Anliegen. Solche Aktivitäten rollen wir über die KVG und auch über Deutschland hinaus aus. Heute sind wir jetzt in der nächsten Phase, in der Operationalisierung. Uns treibt besonders die Frage um, wie wir ein enorm komplexes Portfolio über alle Asset-Klassen hinweg auch nach ESG-Kriterien steuern können. Es setzt sich aus gelisteten und nicht gelisteten Werten zusammen, wir haben allein in Deutschland mindestens sechs Rechtsträger wie beispielsweise die BASF Pensionskasse und zudem viele weitere Rechtsträger im Ausland. Vor diesem Hintergrund muss ich natürlich entscheiden, wer in der Kette der richtige Serviceprovider ist, um unsere Themen auch global messbar zu machen. Wir brauchen ein Instrumentarium, um das Gesamtportfolio ESG-gerecht zu steuern. Da geht es nicht nur um das, was mir ein einzelner Asset-Manager mit seiner eigenen Messmethodik empfiehlt. An einer solchen Lösung arbeiten wir derzeit. Ein möglicher Ansatz ist dabei unsere globale Custodian-Plattform, auf der wir seit drei Jahren rund 20 Milliarden Euro Defined-Benefit-Assets administrieren. Ein solcher Custodian kann dann ein global einheitliches ESG-Scoring bereit stellen.
Aktuell stellt sich für uns die Frage, ob ein solches System mit unterschiedlichen ESG-Ratings arbeiten kann. Wir wissen heute noch nicht, welcher Ratinganbieter sich weltweit als Standard durchsetzen wird. Deshalb brauchen wir eine neutrale Plattform, in die wir verschiedene Ratings einspeisen und ein Gesamt-Scoring ermitteln können. Das Scoring können wir dann idealerweise nach E, S und G differenzieren. Darüber können wir das Portfolio dann zum Beispiel nach CO2-Emissionen steuern und von einem aktuellen Wert hin zu einem Zielwert kommen. Das funktioniert natürlich nur dort, wo wir mit Spezialfonds arbeiten. Darüber können wir das Portfolio dann nach ESG-Kriterien mess- und steuerbar gestalten.
Hat die BASF das ESG-Knowhow selbst inhouse oder holen Sie das über Service-Provider ins Unternehmen?
Otto Hörner: Das ESG-Knowhow haben wir inhouse in unserem Team aufgebaut. Wir arbeiten zudem mit Service-Providern zusammen und pushen sie, indem wir ihnen unsere Anforderungen erklären, nämlich den Aufbau eines einheitlichen Steuerungsinstruments für die globale Kapitalanlage und das Portfoliomanagement mit Flexibilität bei den Rating-Providern. Ich bin mir sicher, dass bei Unternehmen vielleicht in fünf Jahren zusammen mit dem Kredit-Rating im selben Atemzug auch das ESG-Rating genannt wird.
Dustin Neuneyer: Der Punkt ist interessant. Wir reden gern im Zusammenhang mit ESG von Regulierung und Vorgaben der Politik. Tatsächlich sehen wir derzeit eine große Suche danach, wie wir die ESG-Kriterien operationalisieren können. Das ist keine angenehme Situation, weil uns die jahrelang erprobten Tools und Kennzahlen noch fehlen. Aber ich möchte an dieser Stelle die ökonomische und finanzwirtschaftlich relevante Dimension der ESG-Aspekte hervorheben. Es geht nicht um die Frage, welches ESG-Rating das Beste ist, das ich neben das Kreditrating lege, sondern im Fokus steht immer das Kreditrating. In diesem Jahr haben wir bei PRI erstmals unseren Unterzeichnern obligatorisch vorgegeben, dass sie an ein paar Stellen gemäß den Empfehlungen zur klimabezogenen Finanzberichterstattung TCFD Auskunft geben müssen. Jetzt gehen bei mir Fragen von älteren Unterzeichnern und Interessenten ein, ob wir künftig mehr TCFD-Fragen in unseren Fragekatalog aufnehmen werden, die dann auch zu veröffentlichen sind.
Doch aus unserer Sicht ist nicht die Frage entscheidend, ob wir die Berichtsstandards ausweiten. Wichtig ist die Frage, ob TCFD in Zukunft Teil der Finanzberichterstattung wird. Entscheidend ist, welchen Einfluss ESG für das Kreditrating hat. Wir müssen schauen, welches Geschäftsmodell in den einzelnen Branchen in den nächsten 20 Jahren wie geschäftsfähig sein wird. Dahinter stehen natürlich auch völkerrechtliche Verpflichtungen wie die Klimaziele von Paris. Diese Ziele müssen umgesetzt werden, und da hat das Thema Nachhaltigkeit eben eine ökonomische Dimension, und da stehen wir noch ganz am Anfang. Hinzu kommt eine zweite, qualitative und teilweise auch ethische Dimension von Nachhaltigkeit, indem wir bei allen kritischen Themen wie Umweltfragen oder Menschenrechte rote Linien einziehen und definieren, was wir in der Gesellschaft noch wollen und was nicht mehr.
Herr Dr. Siegmund, für R+V als Versicherungskonzern ist Nachhaltigkeit sicher schon lange ein Standardthema.
Uwe Siegmund: Bereits vor rund zehn Jahren gab es einen Weckruf für viele Unternehmen, auch Finanzunternehmen, in Sachen Nachhaltigkeit. Damals ging es um Betriebsökologie und um bestimmte Ausschlusskriterien, etwa für die Hersteller kontroverser Waffen. Die R+V hat sich eine entsprechende Leitlinie gegeben und einen Nachhaltigkeitsbeauftragten ernannt. Das war im Kern unsere Nachhaltigkeit 1.0.
Seit zwei bis drei Jahren sind wir mit Nachhaltigkeit 2.0 unterwegs. Vorreiter in der Versicherungsbranche waren einige börsennotierte Gesellschaften. Es wurde klar, dass wir als Versicherungskonzern immer auf die Aktiv- und die Passivseite schauen müssen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Plakativ: nach der Unterzeichnung der PRI, den Principles for Responsible Investment, gehört auch die Unterzeichnung der PSI, den Principles for Sustainable Insurance, dazu. Somit fahren wir einen ganzheitlichen Ansatz im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Die Aktivseite war dabei sicher immer ein paar Schritte voraus.
Maria Leitzbach: Wir als SOKA-BAU haben die UN PRI in diesem August unterzeichnet. Der Prozess bis dahin lief aber schon länger, wobei Aspekte aus der Kategorie „S“ schon seit der Unternehmensgründung in 1957 virulent waren. Wir stehen und treten ein für soziale Werte wie gerechte Entlohnung, Arbeitsschutz und die Einhaltung von Mindestlöhnen. Inzwischen haben wir diese Wertedefinition um „E“ und „G“ für uns ergänzt, so dass daraus ein Gesamtkonzept entstanden ist. Strukturell haben wir vor zwei, drei Jahren damit begonnen, unseren Investmentprozess dahingehend zielgerichtet weiterzuentwickeln. ESG ist heute ein wichtiger Selektionsprozess für alle Asset-Klassen, die wir im Portfolio haben. Ohne die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Rahmen der Investitionsentscheidungen engagieren wir uns nicht mehr. Wenn ein Unternehmen oder ein Finanzdienstleister, in den oder in dessen Produkte wir investieren wollen, sich im Rahmen seines Prozesses zu ESG nicht committen will, dann investieren wir dort auch nicht mehr. Dabei geht es für uns weniger um „tick-the-box“, sondern wir wollen vielmehr einen qualitativen Mehrwert.
Welcher der drei Buchstaben E, S und G ist für BASF heute am wichtigsten?
Otto Hörner: Wir sind wie gesagt bereits im Prozess der Operationalisierung. Im Moment können wir noch nicht alle Investments nach allen drei Kriterien gleichzeitig steuern. Deshalb werden wir uns immer zunächst Aspekte herausgreifen, die uns besonders wichtig sind. Dazu zählen beispielsweise die CO2-Emissionen. Das Thema lässt sich gut nach Daten steuern. Wir werden sicher in Zukunft darüber diskutieren, ob wir uns hier konkrete Ziele setzen wollen. Wir wachsen derzeit sehr stark bei den Alternatives, vor allem im Bereich von Private Equity und Infrastructure Equity. Diese Asset-Klasse liefert uns sehr stabile Cashflows. Wir engagieren uns beispielsweise auch stark in der Initiative „IDI – Initiative deutsche Infrastruktur e.V.“. Dort wollen wir Impulsgeber sein, um Infrastrukturprojekte in Deutschland mit Investments aus Altersversorgungseinrichtungen heraus zu finanzieren, wie beispielsweise die Wasserstoffinfrastruktur. Bislang fehlen uns aber standardisierte ESG-Messinstrumente für die Alternatives. Es ist schwer, etwa Private-Equity-Fonds auf ESG-Kriterien hin zu prüfen. Hier sind wir noch am Anfang.
Dustin Neuneyer: Eine standardisierte und operationalisierbare Messung von ESG bei Alternatives ist schwierig. Zugleich bietet keine andere Asset-Klasse so große Möglichkeiten, detailliert Einfluss zu nehmen. Bei PRI schauen wir, wie wir das für jede Anlageklasse operationalisieren können. Dafür bieten wir überwiegend qualitative Due-Diligence-Questionnaires an. Das ist ein großer, wenn auch arbeitsintensiver Hebel.
Wo legt R+V den Schwerpunkt bei Nachhaltigkeit?
Uwe Siegmund: Politisch ist eindeutig E mit Priorität auf CO2-Reduktion gesetzt. Wir brauchten erst einmal Daten und Instrumente, um die CO2-Emissionen der Investments zu messen. Inzwischen liegen sie vor, und wir können mit diesen in unseren technischen Systemen arbeiten. Wir können sie für die Bewertung von Aktien nutzen wie auch für Unternehmensanleihen. Viele der Unternehmen dahinter, wie zum Beispiel BASF, haben sich aufgemacht und stellen zunehmend Klimadaten und -informationen bereit.
Bei den Buchstaben S und G wird das Messen schwieriger. Wir als Teil des Genossenschaftsverbands zählen uns mit Blick auf Social natürlich zu den Guten. Selbsthilfe wird bei uns von Anfang an groß geschrieben, aber heute verbinden wir mit S natürlich globale Themen wie beispielsweise Kinderarbeit. G – Governance sollte für Finanzanalysten schon immer ein Kernthema gewesen sein. Wie ein Unternehmen geführt wird, wurde schon immer betrachtet. Nur heute stehen uns noch mehr Daten zur Verfügung, um intensiver analysieren zu können. Schwierig wird die Analyse von allen Assets, die nicht zu Unternehmen gehören, also viele alternative Assets, oder die nicht börsennotiert sind. Bei Staatsanleihen können wir auf das politische System und die konkrete Situation eines Landes schauen. Trotzdem kommen wir mit den ESG-Kriterien und möglichen Ausschlüssen bei Staaten noch nicht sehr weit.
Maria Leitzbach: Wir haben bewusst keine Prioritäten bei E, S und G gesetzt. Alle Faktoren sind für uns gleichgewichtig. Wir haben für alle Asset-Klassen Ansätze für ein qualitatives und teilweise quantitatives Scoring gefunden. So fragen wir eigens definierte ESG-Kriterien qualitativ für alle Assets und bei allen Asset-Managern ab. Die Methode ist nicht perfekt, aber wir erkennen so, wie stark ein Asset-Manager ESG in welcher Klasse gewichtet oder auch nicht. Wir nutzen ein Scoring auf der Skala von eins bis zehn, und alle Anlagen mit einem Scoring unterhalb von vier werden nicht mehr erworben. Das ist nicht so messgenau wie der Vergleichswert einer Ratingagentur, hilft uns aber im direkten Vergleich der Manager untereinander.
Otto Hörner: Das E liegt auf der Hand und steht ja auch in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund. Der Buchstabe S steht leider oft noch im Hintergrund. Aber wir sehen aktuell beispielsweise die Diskussion über das Lieferkettengesetz. Dort werden viele Punkte abgefragt, die auch unter den Buchstaben S fallen. Bei G stehen vor allem unsere Eigentümerrechte und ihre Nutzung im Vordergrund. Wir strukturieren unser Portfolio klar nach der Frage, wo wir Eigentümer und wo wir Gläubiger sind. Die Eigentümerrechte üben wir aus – entweder direkt oder indirekt. Diese Frage wird im Alternative-Bereich noch stark wachsen. Hier zählt für mich etwa auch die Frage, ob ich von Fonds in die Investorenbeiräte eingeladen werde oder nicht.
Stichwort Outperformance: Gibt es schon Finanzanalysen, die ESG-Kriterien berücksichtigen?
Uwe Siegmund: Wir haben die ESG-Analyse bei den R+V Kapitalanlagen komplett neu aufgesetzt in Form eines Integrationsansatzes. Einfache Ausschlusskriterien nutzen wir immer weniger. Unsere erste Säule heißt „Kontroversen“. Das ist die Fortsetzung des Themas Ausschlüsse auf einem vollkommen neuen Niveau. Dort diskutieren wir und legen Guidelines fest, wie wir mit kritischen Unternehmen und kritischen Branchen umgehen. In diese Guidelines fließen etwa die Leitlinien der PRI oder die Social Development Goals der UN ein , so dass wir uns einen Werte- und Handlungskanon zulegen. Die zweite Säule ist ein ESG-Scoring-System. Dort benutzen wir einen Best-in-Class-Ansatz und greifen dafür auf Datenprovider zurück. Beim Rating von E, S und G übernehmen wir nicht automatisch externe Ratings, sondern übersetzen diese in einen eigenen Score. Die Crux beim Best-in-Class-Ansatz ist, dass wir zwar die Besten haben wollen, am liebsten aber die Aufsteiger. Solche Unternehmen sind oft finanziell gut, aber ESG-seitig noch nicht. Deshalb verbinden wir das eng mit dem klassischen Credit-Rating-Prozess.
Unsere dritte Säule heißt „Klima“. Dahinter steht vor allem eine Vermessung des Portfolios nach CO2-Mengen. Auf die Vermessung folgt die Frage der Steuerung, weil sich R+V Ziele beim Klima gesetzt hat. Damit geht es um CO2-Reduktion. Wenn die Unternehmen, in die wir investieren, das nicht tun, werden wir zuerst mit ihnen sprechen, sie dann untergewichten und vielleicht am Ende auch ausschließen. Unsere vierte Säule ist „Engagement“. Dabei ist die Wahrnehmung des Stimmrechts nur ein Teil. Ebenso wichtig ist das regelmäßige, ja tägliche Gespräch mit dem Unternehmen, um auf bestimmte Punkte hinzuweisen.
Otto Hörner: Bei diesem Thema unterscheiden sich R+V und BASF vielleicht etwas. Versicherungen kaufen in der Regel ja oft auch einzelne Aktien und Bonds und brauchen deshalb ein ESG-System, wie es auch ein Asset-Manager einsetzt. So geht BASF nicht vor, wir kaufen selbst keine einzelnen Aktien, sondern vergeben ausschließlich externe Vermögensverwaltungsmandate. Deshalb können wir unseren Asset-Managern nur Anlagerichtlinien vorgeben, sowohl bei Aktien als auch im festverzinslichen Bereich. Wir beschränken uns darauf, das Ganze zu monitoren und das Gesamtportfolio zusammenzustellen. Wir glauben, dass letztendlich die Hauptrendite in einem Portfolio nicht aus einem einzelnen Mandat kommt, sondern aus der langfristigen Gewichtung der einzelnen Asset-Klassen im Portfolio.
Maria Leitzbach: Wir gehen bei SOKA-BAU ähnlich vor und kaufen auch keine Einzelaktien im Direktbestand aufgrund unserer aufbauorganisatorischen Ressourcen. Gleichwohl spielen Aktien als Anlageklasse eine wichtige Rolle, die wir mittels externer Asset Manager besetzen. Umso wichtiger ist es, im Rahmen der Managerselektion den ESG-Ansatz des Managers zu prüfen. Wir lassen uns beispielsweise berichten, was die berichteten Engagement-Maßnahmen effektiv bewirkt haben. Neben der Performance ist das Nachhalten von Engagement-Maßnahmen sowie die Weiterentwicklung von ESG-Prozessen in dieser Berichtssaison der zweitwichtigste Punkt, über den wir uns von unseren Asset Managern reporten lassen. Dadurch werden die Unterschiede in Qualität und Transparenz sichtbar. Da trennt sich die Spreu vom Weizen.
Otto Hörner: Wir verfahren genauso.
Uwe Siegmund: Wir haben beide Ansätze, wobei die externen Mandate bei uns untergeordnet sind.
Dustin Neuneyer: Drei Fünftel der PRI-Unterzeichner sind Asset-Manager, aber die hohe Beteiligung dieser Berufsgruppe ist auch dem Opportunismus geschuldet. PRI ist ursprünglich von Asset-Ownern gegründet worden. Das kennzeichnet unsere Perspektive. Eines unserer wichtigsten Kriterien, bei denen wir unterstützen, ist die Bewertung und Auswahl von Asset-Managern. Den Hebel haben Sie, wenn Sie nicht selbst die Asset-Transaktion vornehmen. Es reicht nicht aus, bei der Mandatsvergabe darauf zu achten, dass ein Asset-Manager PRI-Unterzeichner ist. PRI garantiert keinen Standard der Umsetzung. Theoretisch und im Extremfall kann ein Investmentmanager PRI unterzeichnen, ESG-Aspekte in seiner täglichen Arbeit aber nur minimal nebenher laufen lassen. Eine PRI-Unterzeichnung bedeutet zunächst einmal nur, sich zu den Prinzipien zu bekennen und dabei transparent zu sein. Für Asset-Owner führt aber kein Weg daran vorbei, den Asset-Managern wirklich auf den Zahn zu fühlen. Teil davon kann auch sein, diese etwa nach den PRI-Assessment-Berichten zu fragen, ein qualitatives und statistisches Feedback zu ihrer berichteten ESG-Expertise und -Implementierung, das wir den Asset Managern geben. Da haben Sie Recht, Frau Leitzbach, wenn Sie sagen, dass sich hier die Spreu vom Weizen trennt. Wir bieten unseren Asset-OwnernHilfestellung über das Reporting-Modul „Selection, Appointment and Monitoring“ von Asset Managern an.
Sind heute genügend und ausreichend qualifizierte Asset-Manager mit dem Schwerpunkt auf ESG auf dem Markt?
Otto Hörner: Je größer und globaler die Häuser aufgestellt sind, desto eher ist eine tiefe ESG-Kompetenz Standard, und desto größer sind ja meistens auch die Research-Kapazitäten. Am exaktesten sehe ich das umgesetzt bei faktorbasierten Managern, die alles analytisch in Einzelkomponenten zerlegen und dann aktiv entscheiden.
Maria Leitzbach: Ich sehe, dass ESG-Spezialisten unter den Asset Managern in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht haben. Kleine Häuser müssen nach meiner Wahrnehmung nicht unbedingt schlechter im ESG-Prozess sein. Ein wichtiger Aspekt ist dabei neben der Qualifikation der Manager auch, dass wir uns als lnvestoren auf der Ebene ein Stück weit zu qualifizieren haben. Bei SOKA-BAU durchlaufen alle Mitarbeiter im Bereich Kapitalanlage eine Qualifizierung für ESG-Belange, um dafür im Rahmen ihrer Investitionsentscheidung sensibilisiert und entscheidungsfähig zu werden.
Uwe Siegmund: Wir unterscheiden drei Typen von Portfoliomanagern bei der R+V. Wir betrachten es im Rahmen unseres Asset-Liability-Managements als von Vorteil, gerade auf der Risikoseite vieles inhouse zu machen. Natürlich haben wir auch bestehende externe Mandate, mit denen wir uns wohlfühlen. Beim Thema ESG tauschen wir uns mit ihnen aus und schauen, in wie weit sie mit uns gehen und was sie bei ESG anzubieten haben. Und bei neuen Managern ist ESG Teil der Due Diligence.
Otto Hörner: Bei den drei Häusern, die hier gemeinsam diskutieren, ist das Asset- und Liability-Management natürlich der Kern des Geschäftsmodells. Wir sind auf die Kernprozesse des ALM fokussiert. Die anderen Services kaufen wir bei Beratern zu. Auf der Liability-Seite sind die Verpflichtungen recht komplex. Deshalb müssen wir diese Aufgaben möglichst effizient organisieren.
Wie renditestark sind ESG-konforme Anlagen heute?
Uwe Siegmund: Wir sind bei R+V schon seit Jahren davon überzeugt, dass sich mit solchen Anlagen eine hinreichende Rendite erzielen lässt. Wir sind aber auf eine breite Diversifikation angewiesen, und wenn man vieles ausschließt, schränkt man sich selbst das Anlagespektrum zu weit ein. Seit wenigen Jahren haben wir nun eine komplett andere Situation am Markt, weil sich viele Anleger dieser Überzeugung angeschlossen haben. Die Frage nach einem Rendite-Risiko-Gegensatz stellt sich nicht mehr, von Einzelbereichen einmal abgesehen. Heute geht es eher um eine ordentliche risikobereinigte Rendite, wo bei der Risikobereinigung ESG-Kriterien eine fundamentale Rolle spielen können.
Allerdings wirkt ESG, so wie es politisch verwendet wird, derzeit auch diskriminierend. Es diskriminiert oft Investitionen in Rohstofffirmen und teilweise in Emerging Markets, weil das Thema ESG dort noch nicht so hoch gewichtet ist. Dabei bieten Emerging Markets gerade in diesen Nullzinszeiten eine Möglichkeit, noch Rendite zu erzielen. Auch waren Rohstofffirmen noch vor kurzem sehr gefragt, weil sie wirtschaftliche Entwicklung anzeigten. Im Zusammenhang mit ESG ist es wichtig, sich diesen Bias bewusst zu machen, um das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten. Deshalb sind wir auch so stark fakten- und ratingorientiert, um uns eine eigene Ansicht zu bilden und nicht einfach nur ja oder nein zu sagen.
Otto Hörner: Diese Position kann ich nur bestätigen. Ein Beispiel für eine Übertreibung bei ESG: Wenn ich E in Form von CO2-Emissionen absolut setze, kann eine Konsequenz daraus sein, dass ich nur noch in Financials investiere. Das ist eine absurde Vorstellung, die natürlich wieder andere Probleme aufwirft.
Wie gut können Sie ESG-konforme Renditen quantifizieren?
Uwe Siegmund: Ein Wort möchte ich noch zum Risikomanagement sagen. Auch das Risikomanagement hat sich dem Thema ESG zugewandt. Dazu hat nicht nur das Merkblatt der BaFin beigetragen. Für uns sind die Risikoklassen von Solvency II relevant. Innerhalb dieser müssen die Nachhaltigkeitsrisiken bestimmt werden. Gerade in der Übergangszeit zu einer karbonfreien Wirtschaft ist es zudem wichtig, die physischen Risiken und die Übergangsrisiken zu managen. Hinzu kommt die Klassifikation nach anstehender EU-Taxonomie. Und immer weiter verbreitet ist die Impactmessung der Assets über ihren Beitrag zu den 17 Social Development Goals.
Maria Leitzbach: Indizes, die nach ESG-Kriterien investieren, haben oft besser als andere Indices in der Krise performt. Hier gilt unsere generelle Einschätzung, dass das Tail-Risiko im Portfolio dadurch vermindert wird. ESG ist ein wichtiger Teil unseres Risikomanagements geworden.
Dustin Neuneyer: Studien belegen, dass es bei ESG-konformen Anlagen keine signifikante Underperformance gibt. In den Marktturbulenzen der Corona-Monate waren die ESG-Portfolios deutlich stabiler. Ich glaube aber, dass wir hier noch einen Schritt zurück machen und den Zeithorizont erweitern müssen. Hier müssen wir die kurzfristige Dimension genauso im Auge behalten wie die langfristigen Pensionsverpflichtungen. Was sind die langfristigen makroökonomischen Entwicklungen und was bedeutet das für mein Portfolio? Es sind viele Milliarden Gelder in Sektoren etwa der „fossilen“ Wirtschaft investiert, die nicht kompatibel sind mit den Beschlüssen zum Klimaschutz, die also potentiell vom Ausfall bedroht sind und die wir eigentlich für den Umbau in Richtung Nachhaltigkeit benötigen.
Natürlich darf eine Taxonomie keine Fehlallokation verursachen, doch wir haben derzeit immer noch eine hohe Kapitalallokation in Bereichen, die nicht zukunftsfähig sind. Das ist das eigentliche Problem. Diese problematische Allokation müssen wir jetzt absichern und die Risiken minimieren. Für einen Investor sollte das bedeuten: Was ist die bestinformierte Investitionsentscheidung, die ich treffen kann? Das gilt für eine gesamtstrategische Allokation über Branchen oder Länder oder für die Auswahl von Einzeltiteln.
Uwe Siegmund: Ich habe PRI so verstanden, dass es gerade gewünscht ist, die Wirtschaft beim Wandel zu begleiten, anstatt einfach auszuschließen. Wir müssen auch die Unternehmen finanziell unterstützen, die im Augenblick bei ESG deutlich schlechter da stehen, sich aber aufgemacht haben, das zu verbessern. Also mehr Engagement statt Ausschlüsse.
Dustin Neuneyer: Natürlich ist die Aufgabe vor uns gewaltig und kompliziert. Der aktive Dialog mit den Unternehmen ist entscheidend, um etwas zu verbessern. Ganz viele Unternehmen sind gleichzeitig Teil des Problems und Teil der Lösung. Sie haben ein Produkt- und Leistungsportfolio, das für die Gesellschaft von entscheidender Relevanz ist, und es braucht hier eine schrittweise Veränderung, um den Wandel zu ermöglichen. Business as usual können wir ausschließen. Je aktiver man als Investor in einen Dialog mit einem „problematischen“ Unternehmen eintritt, desto besser lässt sich der Wandel begleiten.
Sind Sie zufrieden mit ESG 2.0?
Uwe Siegmund: Das Ganze ist eine Daueraufgabe, somit können wir heute noch nicht zufrieden sein. Nachhaltigkeit ist eine der großen Herausforderungen für die Versicherungsbranche neben Nullzinsen, Digitalisierung und Corona.
Otto Hörner: Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage ist enorm wichtig, das ist uns allen klar. Sie muss ein integraler Bestandteil der Kapitalanlage werden. Die nächste Phase ist die Frage, wie wir das technisch umsetzen werden. Wir brauchen quantitative Elemente für die Portfoliosteuerung, um definierte qualitative Ziele erreichen zu können. Gerade für große, komplexe Portfolios brauchen wir die entsprechende Technologie. Deshalb läuft die Digitalisierung für mich ein Stück weit komplementär zur Nachhaltigkeit und zu ESG. Hier ist die Kapitalanlage der Asset-Owner noch nicht so weit wie bei digitalen Anwendungen für das Business. Wenn wir beides zusammenbringen, lässt sich ESG sehr fokussiert steuern.
Frau Leitzbach, wie sieht die nächste Phase von ESG aus?
Maria Leitzbach: Wir leben im Augenblick in einer Welt, in der sich unglaublich viel sehr schnell verändert. Die Corona-Entwicklungen haben sicherlich Wertigkeiten verschoben. Wir wollen unseren Investmentbereich hinsichtlich Produktvielfalt und Prozessen weiter flexibilisieren. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine wesentliche Rolle.
Ich weiß nicht, ob ich im nächsten Jahr noch die Dinge unterschreiben werde, die ich heute gesagt habe. Wir müssen uns auf einen immer schnelleren Wandel einstellen.
Dustin Neuneyer: Wir sind tatsächlich in der Operationalisierung begriffen. Wir müssen dabei schauen, in welchen Strukturen wir arbeiten. Dabei kommt es darauf an, zu schauen, was die einzelnen Geschäftsmodelle von Firmen und Branchen sind. Wie lassen sich die verfügbaren Daten messen? Die Finanzberichterstattung wird sich verändern. Es wird sich auch verändern, wie eine Kreditwürdigkeit bemessen und ein Rating erstellt wird. ESG wird zunehmend Teil all dieser Prozesse werden. Damit löst sich die Parallelität auf. Hier werden verschiedene Methoden, Strukturen und Systeme miteinander übereingebracht werden in den nächsten drei bis fünf Jahren.