Unser evolutionsgeschichtlich uraltes Gehirn ist für Finanzentscheidungen gar nicht gerüstet“, so lautet das Resümee von Roland Ullrich, Consultant, Trainer, Coach und Experte in Behavioral Finance und Neurofinance. „Das Gehirn arbeitet hochemotional und tut sich schwer, im ökonomischen Sinn rationale Entscheidungen zu treffen.“ Es sei nun mal Resultat eines evolutionären Selektionsprozesses und ein lebendes Fossil, das sich in 100.000 Jahren nur um wenige Prozent verändert. Deshalb haben wir heute noch typische Verhaltensweisen und Reiz-Reaktions-Muster, die dazu bestimmt waren, unser Überleben in der Steinzeit zu sichern.
Die Reaktion des Gehirns
„Auf Gewinne und Verluste reagieren wir sehr emotional und impulsgesteuert“, so Ullrich. Hochmoderne bildgebende Verfahren erlauben es mittlerweile, solche Abläufe im Gehirn sichtbar zu machen und menschliches Verhalten beim Umgang mit Geld neurowissenschaftlich zu erklären. Gewinne und Verluste werden in unserem Gehirn in verschiedenen Arealen verarbeitet: Auf der einen Seite wird bei Gewinnen – vor allem bei der Erwartung auf einen Gewinn – das Belohnungszentrum aktiviert und das Hormon Dopamin ausgeschüttet. Folge ist die Tendenz, eine Aktie zu früh zu verkaufen. „Wir verspüren den Drang, Gewinne möglichst schnell zu realisieren. Und wir haben Angst, den Buchgewinn wieder zu verlieren“, erklärt Ullrich. Auf der anderen Seite wird bei Verlusten das Schmerzzentrum aktiviert; diesen Schmerz will man aber vermeiden. „Die Reaktion – ganz wie in der Steinzeit: Flucht oder Kampf.“ Wobei Flucht im Finanzkontext oft ein Abwarten oder Wegschauen zur Folge haben kann und damit handlungsunfähig macht. Eine Kampfreaktion dagegen wäre ein nochmaliges Nachkaufen der Aktie und damit eine Vergrößerung des Verlustpotenzials; Stresshormone wie zum Beispiel Adrenalin übernehmen an dieser Stelle die Führung. Ullrichs Fazit: „Der Schmerz über finanzielle Verluste ist größer als die Freude über Gewinne in gleicher Größe. Das heißt: Im Gewinnfall scheuen Investoren das Risiko, bei Verlusten werden sie risikofreudig.“
Besser investieren lernen
Doch es gibt Wege heraus aus dem evolutionsbiologischen Dilemma – mit dem Ziel, im ökonomischen Sinn rationaler mit Geld umzugehen. Ullrich zu solchen Methoden: „Wir können lernen, die Kontrolle über unsere automatischen Gehirnaktivitäten zu erlangen.“ So helfe ein enges Korsett aus Regeln dabei, nicht in emotionale Fallen zu tappen. Dazu sei im ersten Schritt die Bewusstseinsbildung wichtig: „Es ist hilfreich zu wissen, wie das Gehirn funktioniert: Welchen Verhaltensmustern und Reiz-Reaktions-Mechanismen unterliege ich?“ Neben Disziplin sind ein strenges Regelsystem und konsequentes Risikomanagement wichtig. „Es gilt, für die verschiedenen Szenarien im Vorfeld einen Plan zu haben, an den man sich dann sklavisch hält“, rät Ullrich. Zudem lassen sich automatische Aktivierungsmuster im Gehirn durch gezieltes Training regulieren. „Durch regelmäßiges Üben können ungewünschte Muster aufgelöst und zielführende neuronale Schaltmuster aufgebaut werden.“ Ullrich arbeitet hier zum Beispiel mit Neurofeedback- und Mindfulness-Methoden. λ