Mit Blick auf die Europäische Zentralbank fanden im 22. Stock des Eurotheum die ersten „Frankfurter Zinsgespräche“ des F.A.Z.-Fachverlags Frankfurt Business Media statt. Vier Chefvolkswirte und ein Kapitalmarktstratege führender deutscher Finanzinstitute – Allianz, Deka, Flossbach von Storch, Metzler und Union Investment – diskutierten kontrovers über Alternativen zur aktuellen Geldpolitik, die Nebenwirkungen der Niedrigzins-Jahre und Gefahren für die Finanzstabilität.
Lassen Sie uns ganz naiv anfangen: Wir haben in Deutschland zehn Jahre Hochkonjunktur hinter uns. Dennoch haben wir in den Jahren keine ordentlichen Zinsen gesehen. Herr Zeuner, warum ist das so? Liegt das an Europa, an der Demografie oder an der EZB?
Jörg Zeuner: Darf ich als erstes schon einmal die Hochkonjunktur in Frage stellen? Aus meiner Sicht haben wir zwei Jahre lang eine sehr gute Konjunktur erlebt. Ansonsten haben wir weder entsprechende Inflationsraten beobachtet noch eine Lohnentwicklung, die üblicherweise eine Phase der Hochkonjunktur auszeichnet. Das ist eher der Kontext, in dem wir unsere Debatte sehen müssen. Wir erleben jetzt einen Zyklus, der nach unten zeigt – und das bei einem Zinsniveau, das extrem niedrig ist. Die Tatsache, dass wir in einer Währungsunion leben, spielt ebenfalls eine Rolle. Eine Währungsunion aus souveränen Staaten mit eigenen Haushalten wohlgemerkt. Da haben wir bereits sehr viel lernen müssen und werden sicherlich auch noch ein bisschen mehr lernen müssen. Die demografische Entwicklung impliziert weitere wichtige Fragen: Wie groß ist das künftige Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft, wie produktiv sind wir mit welcher Infrastruktur, welchen Maschinen und welchen Unternehmen? Wie risikofreudig sind diese Firmen, wie investieren sie? Im Vergleich zu den 1990er und frühen 2000er Jahren haben wir Jahre erlebt, in denen sich sehr viel verändert hat.
Herr Kater, wie sehen Sie das Wechselspiel von Notenbanken und Demografie?
Ulrich Kater: Notenbanken werden gerne als alleinige Verursacher des Sparerleids angesehen. Doch trifft sie nur eine Teilschuld. Zinsen als Preis für Kapital sind wie jeder Preis abhängig von Angebot und Nachfrage. Da der Kapitalmarkt der weltweit am stärksten integrierte Markt ist, wird der Zins durch die globale Verfügbarkeit von Angebot und Nachfrage bestimmt. Und hier kommt die Demografie ins Spiel. Gerade im vergangenen Jahrzehnt haben die geburtenstarken Jahrgänge mit ihrer Spartätigkeit für ein unglaubliches Angebot von Kapital gesorgt. Umgekehrt ist die Investitionstätigkeit, gerade die kreditfinanzierte, nur sehr zögerlich gewachsen. Das ist ein weltweites Phänomen. Doch wird dieser demografische Übergang, in dem wir uns aktuell befinden, nicht endlos anhalten, und es werden sich wieder Knappheitsphänomene einstellen. Allerdings wird es im Westen bis Anfang der 2030er Jahre dauern, bis sich die geburtenstarke Jahrgänge in die Rentenzeit verabschieden.
Weltweit wird die Bevölkerung aber noch deutlich länger altern als bis zum Jahr 2030…
Kater: Ja, aber auch da gibt es Verlangsamungen. Und dort, wo die Bevölkerung stark wächst, befinden sich Regionen, die über keinen Kapitalmarkt verfügen. Die demografisch starken Auswirkungen auf den Kapitalmarkt manifestieren sich in den reiferen Industriegesellschaften – besonders in Europa, Amerika und China.
Herr Heise, wenn man Herrn Kater so zuhört, könnte man fast auf die Idee kommen, dass der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi ganz unschuldig ist an der aktuellen Situation. Ist das so?
Michael Heise: Nein, ganz und gar nicht. Die Geldpolitik war wirklich sehr mächtig in der Beeinflussung der langfristigen Zinsen. Das ist eine Lehre, die wir aus der Entwicklung der vergangenen Jahre ziehen müssen. Gewirkt hat sie über die bekannten zwei Wege: Zum einen über „Forward Guidance“, also die Zusicherung der Notenbanken an die Märkte, dass die Geldmarktzinsen noch geraume Zeit bei null verharren. Zum anderen über Anleihekaufprogramme, die die Risikoprämie im Zins zunächst auf null und dann tief in Negative gedrückt haben. Investoren bezahlen mittlerweile dafür, dass sie langfristige Aktiva bekommen. Früher gab es dafür eine Prämie, weil langfristige Aktiva natürlich volatiler sind als kurzfristige. Seit acht Jahren wenden wir also immer wieder dieselbe Medizin an, die ihre Wirkung offenkundig verloren hat. Die Nebenwirkungen, die diese immer höhere Dosierung der Medizin für die Sparer, für die Risiken an den Finanzmärkten und für die kapitalgedeckten Systeme im Ganzen hat, nehmen wir nicht zur Kenntnis. Diese Entwicklung sehe ich sehr kritisch.
Die Zinsen sind niedrig. Eigentlich doch der beste Anreiz zu investieren. Häuser werden gekauft, aber sonst passiert nicht viel. Woran liegt das, Herr Walk?
Edgar Walk: Ich vermute, dass wir in der Eurozone demografisch in einer ähnlichen Situation sind wie in Japan. Der Anteil der Jungen in der Bevölkerung sinkt, die eher Autos, Möbel und Wohnungen kaufen. Der Anteil der Älteren mit einer eher hohen Sparquote steigt dagegen. Statt einer Verbraucherpreis-Inflation kommt es dann zu einer Finanzpreisinflation. Diese hohe demografisch bedingte Sparneigung führt zu einer Preisblase – weniger an den Aktienmärkten, eher an den Anleihemärkten. Realwirtschaftlich zeigt sich das in einem relativ geringen Effekt auf die Investitionsneigung. Für einen größeren Effekt fehlen aufgrund der Demografie einfach die Wachstumsperspektiven.
Herr Vorndran, wie könnte man das Investitionsklima verbessern?
Philipp Vorndran: Das Investitionsklima am Kapitalmarkt ließe sich ganz einfach und wirksam über die Wiedereinführung einer Spekulationssteuer stimulieren. Nach einer gewissen Zeit – beispielsweise fünf Jahren – wären dann sämtliche Gewinne am Kapitalmarkt wieder steuerfrei. Wir wissen, dass die Deutschen über Steueranreize funktionieren. Allerdings haben wir so auch verhindert, dass die Deutschen wirklich gelernt haben, sinnvoll zu investieren. Viele haben leider keine Ahnung von Geldanlage und haben deswegen Angst davor. Diese Angst müssen wir in den nächsten Jahren sukzessive durch eine Verbreiterung des Finanzwissens abbauen.
Und wie könnte mehr in der Realwirtschaft investiert werden?
Vorndran: Was die entwickelten Volkswirtschaften angeht, haben wir das Gefühl, dass wir zunehmend in einer Status-Quo-Gesellschaft leben. Wenn ich Freunde und Bekannte frage, „Wärest Du damit zufrieden, wenn es Dir in 20 Jahren genauso gut geht wie heute?“, dann antworten die meisten mit einem überzeugten Ja. Diese Mentalität ist natürlich der Todeskuss für viele Investitionen. Einer solchen Gesellschaft geht es vor allem um Partikularinteressen. Sie kennen alle die unglaublich langen Fristen der Genehmigungsverfahren , um hier in Deutschland eine Anlageninvestition durchzuführen. Nehmen wir das Beispiel Energiewende und die Herausforderung, Strom von Nord nach Süd zu transportieren. Die Regierung und auch viele institutionelle Investoren, die nach Rendite suchen, haben das Thema angepackt und arbeiten an effizienten Lösungen. Sie werden aber durch Bürgerinitiativen und die Politik in regionalen Behörden gebremst. Noch werden diese Probleme übertüncht durch zwei strukturelle „Subventionen“. Denn weder die tiefen Zinsen noch der tiefe Euro-Dollar-Kurs entsprechen Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und der Leistungsfähigkeit der Mehrzahl unserer Unternehmen.
Heise: Das eigentliche Thema ist doch, dass Deutschland weiterhin so stark exportabhängig ist. Trotz der Reformen unter der Regierung von Gerhard Schröder ist es uns nicht gelungen, das Wachstum der Binnenwirtschaft zu erhöhen. Ein großer Teil der deutschen Ersparnis wird weiterhin im Ausland investiert. Die Investitionen sind zu niedrig und das liegt daran, dass sich die Standortbedingungen wieder verschlechtert haben. Wir sind bei den Lohnkosten, den Energiekosten und den Unternehmenssteuern nahezu weltweit spitze. Aber diese Themen werden in Berlin offenbar wenig beachtet. Löhne und Lohnnebenkosten, Energiepreise und Unternehmenssteuern sind keine populären Themen. Deswegen suchen alle nach neuen Wegen, um die Wirtschaft und die Industriepolitik zu beschleunigen.
Zeuner: Ja, es sind die klassischen Standortfaktoren, bei denen wir kritisch nachfragen müssen. Auch beim Thema Wohnraum. Wir haben davon nicht zu wenig, sondern wir haben ihn an der falschen Stelle. Eben nicht in den boomenden Wirtschaftsstandorten. Dort müssen wir ansetzen. Generell sollten wir uns in diesem Diskurs vor Augen führen, dass in den vergangenen Jahren fast jeder neu geschaffene Arbeitsplatz im Dienstleistungsbereich entstanden ist. Netto kaum einer im verarbeitenden Gewerbe. Aber genau dort sind die hochproduktiven Sektoren angesiedelt. Dort wird investiert und weiterentwickelt.
Hat die Zinsentwicklung der vergangenen Jahre den in der Phillips-Kurve zusammengefassten negativen ökonomischen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation ausgehebelt?
Kater: Die Phillips-Kurve ist wie alle ökonomischen Zusammenhänge keine starre Regel, sondern variabel. Ein Grund, wieso sie in den vergangenen Jahren verschwunden ist, ist der Strukturwandel. Weg von industriell geprägten hin zu dienstleistungsorientierten Märkten. Sie sind anders verfasst, der automatische Zusammenhang zwischen Knappheit und Lohnsteigerung ist so nicht mehr gegeben. Ein anderer wichtiger Grund ist der Erfolg der Notenbanken. Sie haben es in den 1990er Jahren geschafft, jedermann davon zu überzeugen, dass die Inflation in Zukunft nicht mehr stark nach oben gehen kann. Sie haben die Inflationserwartungen so stark nach unten gebracht, dass es für Herrn Draghi heute ein Problem ist. Er muss expansive Maßnahmen mehr oder weniger ankündigen, weil eine gute Konjunktur heute die Inflation nicht mehr steigen lässt. Selbst die Unternehmen in Amerika und Europa trauen sich nicht, die aktuellen Lohnsteigerungen in Form höherer Preise weiterzureichen, weil sie diese niedrigen Inflationserwartungen so stark verinnerlicht haben.
Heise: Das ist natürlich die Ironie der Geschichte. Denn die Phillips-Kurve ist der zentrale Baustein der Politik, die die Notenbanken betreiben. Sie wollen über die Veränderung der Kapazitätsauslastung die Inflation beeinflussen.
Heißt das, dass die Notenbanken es aufgeben sollten, die Inflation zu beeinflussen?
Zeuner: Nein, dieser Rückschluss wäre mir zu gefährlich. Die Inflation ist weiterhin ein sinnvolles geldpolitisches Ziel und eine wichtige ökonomische Größe. Vielleicht funktioniert die Phillips-Kurve wieder, wenn zum Beispiel inflationsdämpfende Effekte der Digitalisierung auslaufen. Auf jeden Fall ist das Mandat einer Notenbank vielschichtiger geworden, da sie nicht mehr nur über das Leitzinsniveau steuert, sondern auch mit neuen, unkonventionellen Instrumenten auf ökonomische Zusammenhänge einwirkt.
Heise: Es gibt noch viele Unklarheiten, wie sich Digitalisierung über die Wertschöpfungsketten auf die Inflation auswirkt. Welche Dynamiken und Mechanismen gibt es? Diese Unsicherheit gilt es geldpolitisch zu berücksichtigen. Deswegen brauchen wir flexiblere Preisziele.
Woran denken Sie, ein bis drei Prozent?
Heise: Ja, das wäre ein möglicher Weg…
Kater: Aber was machen wir denn, wenn wir bei einem Prozent angekommen sind? Das ist doch die Gretchenfrage. Die orthodoxe Ökonomie plädiert dafür, an der bisherigen Inflationsauffassung festzuhalten. Dahinter steht die Furcht, dass eine Abkehr vom bisherigen Inflationsziel die gefürchtete Deflationsspirale auslösen könnte. In der Papierwährungszeit waren damit immer negative ökonomische Erfahrungen verbunden mit entsprechend enormen Auswirkungen auf den Finanzmarkt. Würden Deflationserwartungen aufkommen, dann würden Aktienkurse und Goldpreis fallen. In einer hoch verschuldeten Welt käme es eventuell zu Einkommensrückgängen mit entsprechendem Negativeffekt für die Wirtschaft. Andererseits könnte das Festhalten an einem orthodoxen Inflationsziel zu einer Deformierung des Finanzsektors führen. Irgendwann kann die Deformierung dann so groß werden, dass er nicht mehr funktioniert.
Vorndran: Ist das nicht eigentlich ein selbstverstärkendes System? Wir machen uns zunehmend Gedanken, ob wir durch dieses Vorgehen nicht unsere Wirtschaft zombifizieren, weil Pleitekandidaten nicht vom Markt verschwinden, so wie das in der Ökonomie eigentlich der Fall sein sollte.
Zeuner: Die Diskussion um Zombie-Unternehmen ist hochspannend. Jedoch sollte man auch bei den Zahlen bleiben. Die nicht börsennotierten Unternehmen in Deutschland erzielen einen operativen Gewinn, der ungefähr beim Sechsfachen des Zinsaufwandes liegt. Der Anteil der Firmen, bei denen der Zinsaufwand den operativen Gewinn übersteigt, liegt bei rund fünf Prozent. Eine Zahl, die sich seit sechs Jahren nicht verändert hat.
Wie produktiv sind diese hoch verschuldeten Unternehmen?
Zeuner: Unter den fünf Prozent befinden sich extrem unproduktive Unternehmen. Aber nicht jede hoch verschuldete Firma ist unproduktiv. Die meisten hoch verschuldeten großen Unternehmen in Deutschland weisen Produktivitätskennzahlen und Investitionszahlen aus, die dem des Durchschnitts entsprechen oder sogar besser sind. Das sind für mich investierende Unternehmen und nicht starre Strukturen, die möglichst alles konservieren. Folglich kann es hier und da bei uns Zombie-Unternehmen geben, doch auf keinem Fall in einem Umfang, der erklärt, warum Deutschland strukturell auf ein niedrigeres Wachstumsniveau abgesunken ist.
Vorndran: Aber es ist schon wichtig, Deutschland nicht als Insel zu betrachten. Jedes Unternehmen, dass „zombifiziert“ im Rest der Welt überlebt, ist ein potenzieller Wettbewerber für ein deutsches Unternehmen. Deswegen helfen uns rein deutsche Zahlen hier nur begrenzt weiter.
Zeuner: Aber nur drei Prozent der deutschen Unternehmen sind im Auslandsgeschäft tätig. Die Diskussion um die Zombifizierung von Unternehmen hat eine Logik. Doch nimmt das Phänomen in der Realität nicht die Größe ein, die den Umfang der Diskussion rechtfertigen würde.
Kehren wir zurück zu den Nebenwirkungen, die wir uns mit der vergangenen und aktuellen Geldpolitik einhandeln. Wie sollen wir damit umgehen?
Walk: Welche Alternativen haben wir, das ist hier die Frage. Professor Dr. Gunther Schnabl, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, vertritt beispielsweise die Meinung, dass eine Anpassungsrezession notwendig ist und die Zinsen daher angehoben werden sollten. Doch das halte ich für äußerst gefährlich, weil im aktuellen fragilen Umfeld eine Rezession eine größere Schuldenkrise auslösen könnte.
Kater: Der gesellschaftliche Preis ist sehr hoch.
Walk: Stattdessen sollte eher dafür gesorgt werden, dass es ein gutes Konkursrecht gibt und dass der Markt für Firmenübernahmen gut funktioniert. Damit wären die Voraussetzungen geschaffen, dass innerhalb eines Aufschwungs, und nicht während einer Rezession, eine ständige Bereinigung des Marktes stattfinden kann. Australien praktiziert das erfolgreich. Seit 1991 befindet sich das Land im Aufschwung, in dem sich eben dieser Bereinigungsprozess vollzieht.
Sorgt aber nicht der niedrige Zins dafür, dass die Unternehmen erst gar nicht in Konkurs gehen?
Walk: Eine Null-Zins-Welt ist eine tendenziell konservierende Welt, in der der Strukturwandel und damit auch das langfristige Wachstum wahrscheinlich verlangsamt stattfindet. Deswegen muss man allen Menschen klarmachen, dass beides zusammen nicht geht: Eine schön gleichmäßige Wirtschaftswelt, in der nichts schwankt und wir keine Disruptionen haben und es sich jeder gemütlich machen kann, und aber auf der anderen Seite eine hoch wettbewerbsfähige Wirtschaft, die auf der Welt unübertroffen ist. Nullzinsen sollten also vermieden werden. Dazu brauchen wir jedoch eine Rückkehr der Inflation auf zwei Prozent.
Welche Nebenwirkung beunruhigt Sie am meisten, Herr Heise?
Heise: Neben der Frage der Finanzstabilität ist die Nebenwirkung auf kapitalgedeckte Systeme, mit denen wir Lebensversicherungen, Krankenversicherungen, Pensionsleistungen und Stiftungszwecke finanzieren, für mich die wichtigste, zumal sie einen selbstverstärkenden Effekt hat. Aufgrund sinkender Kapitalerträge, beispielsweise für die Altersvorsorge, halten die betroffenen Menschen ihre Ersparnisse auf hohem Niveau. Für sie ist der niedrige Zins kein Anreiz, mehr Geld auszugeben, sondern eher ein Warnsignal, dass auf sie ein echtes Problem zukommt. Dabei müssen wir uns vor Augen führen, dass die derzeit ausgewiesenen Überschussbeteiligungen noch sehr hoch ausfallen, weil Vermögensbestände mit alten Renditen im Bestand sind. Die Null-Zins-Papiere, die jüngst und derzeit gekauft wurden und werden, werden die Erträge erst in Zukunft enorm belasten.
Vor was müssen sich Anleger fürchten?
Kater: Es gibt ein Risikoszenario – und das ist das der Deflation. Eine Entwicklung wie in Japan, bei der das Preisniveau anfängt zu sinken. Das ist die einzige Konstellation, in der man bei der langfristigen Vermögensaufstellung umdenken muss. Kommt es zu Deflation mit Nullwachstum, werden die Aktienkurse sinken. Doch das ist unwahrscheinlich. Denn bei schwachem Wachstum werden die Staaten vermutlich mit zusätzlichen Ausgaben reagieren, etwa um die Infrastruktur zu verbessern. Ähnliches hat EZB-Chef Draghi in seiner Rede vom 18. Juni auch eingefordert, denn er weiß, dass die Geldpolitik nicht mehr viel tun kann.
Vorndran: Noch eine Anmerkung zu Japan: Auch dort hat die Aktie für langfristige Investoren mittlerweile de facto die Anleihe ersetzt. Die Gewinnrendite ist zum „Coupon“ für den Investor geworden. Seit dem Jahr 2005 liegt das Kursgewinnverhältnis – mit kurzen Ausreißern – im Topix zwischen 10 und 15, heute beträgt die Gewinnrendite acht Prozent – versus null Prozent bei japanischen Staatsanleihen. Das ist die neue Rendite, für die es noch nicht einmal Gewinnwachstum braucht. Denn Unternehmen in stagnierenden Volkswirtschaften oder Branchen, so wie heute beispielsweise viele Tabakkonzerne, gehen einfach dazu über, sämtliche Erträge als Dividende oder über Aktienrückkäufe an die Investoren weiterzugeben. Investiert wird kaum noch. Innovationen finden woanders statt.
Wie schätzen Sie die Positionierung der Anleger in Deutschland ein?
Vorndran: Hier in Deutschland sind wir in der Vergangenheit alle gut damit gefahren, in Anleihen investiert zu sein. Der RexP weist für den Zeitraum von 1999 bis 2016 eine deutlich bessere Performance auf als der MSCI World und hat dazu einen viel besseren Sharpe Ratio bei niedriger Volatilität. Aber das ist vorbei. Seit 2016 treten klassische Nominalwerte zunehmend auf der Stelle. Und darauf haben wir als Investorengemeinschaft Deutschland noch nicht reagiert.
Wie gefährdet ist die Finanzstabilität?
Heise: Derzeit besteht noch kein Anlass gegenzusteuern. Die Geldpolitik muss die Entwicklung an den Risikomärkten, wie etwa Corporate Bonds im BBB-Emissionsbereich, Private Lending und Leveraged Loans, noch nicht einbremsen. Aber: Wenn wir die bisherige Medizin die nächsten drei bis vier weiter verabreichen und vielleicht sogar eine neue Dosierung wählen, dann werden wir sicherlich an den Punkt kommen, an dem die Kreditvergabe und die Kredithebel wieder so stark zugenommen haben, dass vom Finanzmarkt eine Krise ausgehen kann. Mit der aktuell gezielten Förderung der Kreditvergabe unterstützen die Notenbanken ein ohnehin risikointensives System. Diesen Aspekt müssten sie in ihrem Handeln stärker im Blick haben.
Vorndran: Aus der Ecke mache ich mir derzeit weniger Sorgen. Für mich ist das große Thema der Kampf um den Supermachtstatus zwischen den USA und China. Und dass wir deshalb eine Welt, die sehr gut von Skaleneffekten und Arbeitsteilung lebt, zurückentwickeln. Zurück von offenen hin zu geschlossenen Volkswirtschaften. Natürlich wird es dabei auch Gewinner geben, an die wir heute noch gar nicht denken. Als Nebeneffekt könnte zudem die Inflation anziehen, weil bestimmte Produkte einfach nicht mehr verfügbar wären. Weil sie künstlich verknappt würden. Auf dieses mögliche Szenario sollten speziell wir Deutschen viel mehr achten, es ist deutlich relevanter als beispielsweise die Brexit-Gefahren.
Zum Abschluss würde ich gerne von jedem von Ihnen eine kleine Anlageempfehlung hören: Welche Vermögensklasse würden Sie demnächst höher gewichten?
Heise: Aktien und andere realwertgesicherte Anlagen werden bei langfristiger Betrachtung überdurchschnittlich steigen. Ob es kurzfristig Rückschläge und damit auch bessere Einstiegsmöglichkeiten gibt, hängt davon ab, ob die politischen Krisen rund um den Welthandel und den Zusammenhalt in Europa entschärft werden. Den Eigeninteressen der beteiligten Länder entspräche das sehr wohl.
Kater: Realinvestitionen sind für die nächste Dekade nach wie vor die einzige Möglichkeit, noch etwas Rendite ins Portfolio zu holen. Es ist sicher nicht sinnvoll, 100 Prozent des Vermögens in Aktien zu investieren. Aber es ist genauso wenig sinnvoll, dass etwa 80 Prozent der Deutschen gar keine Aktien im Portfolio haben. Eine Erhöhung der Aktienquote ist den Anlegern anzuraten. Dieser Schritt ist unabhängig von den politischen Themen der nächsten Monate – seien es die Trump’schen Handelskriege, die sich irgendwann jetzt weiterentwickeln, oder die verschuldeten Italiener.
Walk: Beim Aufstocken der Aktienquote ist die Diversifikation des Portfolios wichtig. Nicht in wenige Einzelaktien investieren, sondern in eine Vielfalt globaler Regionen – ggf. auch über Fondskonstrukte. Und, ganz wichtig: Man braucht einen Mechanismus, der einem nicht erlaubt, vorzeitig aus der Investition rauszugehen. Damit man vom langfristigen Ertrag profitieren kann.
Zeuner: Abgesehen von Realinvestments, also Aktien und Immobilien, ist eine internationale Diversifikation wichtig. Man kann auch trotz Nullzinsen mit Rentenanlagen weiter Erträge erzielen, wenn man auf Anleihen mit Renditeaufschlag setzt. Nicht überall auf der Welt sind die Zinsen so niedrig wie bei uns. Internationale Diversifikation – etwa in Schwellenländer – ist auch hier der Schlüssel zum Erfolg. Ein solches Portfolio sollte professionell aufgebaut sein.
Herr Vorndran, wie lautet Ihre Empfehlung?
Vorndran: Ich würde jedem, dessen Ansparphase länger als sieben Jahre ist, empfehlen, 60 Prozent in Aktien und den Rest in aktiven Anleihestrukturen anzulegen; und natürlich den Erwerb der eigenen vier Wände, um die Deutschen endlich aus der Mietermentalität herauszuholen und ihren Inflationsschutz zu verbessern. Wer weniger als sieben Jahre Zeit zum Ansparen hat, sollte viel in Festgeld anlegen, auch wenn es weh tut. Die Hälfte seines Vermögens sollte er in sehr aktive Anleihenfonds investieren. Auch damit ist eine mittelfristige Performance von zwei bis vier Prozent möglich. Für große Aktieninvestments ist die Zeit leider zu knapp. Zumindest nach Steuern und Kosten kann man so halbwegs die Inflationsziele der EZB schlagen.
Eine ergänzende Berichterstattung zu den „Frankfurter Zinsgesprächen“ können Sie in der Magazinausgabe August/September von Deutsche Pensions- und Investmentnachrichten lesen.
TEILNEHMER
Dr. Michael Heise, Chefökonom Allianz SE
Vor 17 Jahren kam Dr. Michael Heise zur Allianz. Er ist Chefvolkswirt und berät den Vorstand des Versicherungskonzerns in volkwirtschaftlichen und strategischen Fragen. Heise studierte und promovierte an der Universität zu Köln. Bevor er zur Allianz kam, war er u.a. Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Chefvolkswirt der DZ Bank. Ende September 2019 geht Heise in den Ruhestand. Ludovic Subran wird ihm am 1. Oktober als Chefvolkswirt nachfolgen.
Dr. Ulrich Kater, Chefökonom Deka Bank
Dr. Ulrich Kater ist seit 1999 bei der Deka Bank. Er war am Aufbau der volkswirtschaftlichen Abteilung der Bank beteiligt. 2004 wurde er Chefvolkswirt der Bank, seit 2006 sitzt er dem Beirat für Wirtschaftsfragen im Verband Öffentlicher Banken vor. Von 1995 bis 1999 war Kater im Stab der „fünf Wirtschaftsweisen“ für die Themen Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich. Kater promovierte an der Universität zu Köln.
Edgar Walk, Chefvolkswirt, Metzler Asset Management
Im Jahr 2000 ist Edgar Walk zu Metzer Asset Management gekommen. Aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit dem Portfoliomanagement liegt sein Fokus als Chefvolkswirt nicht nur auf der volkswirtschaftlichen Analyse, sondern auch auf Kapitalmarktthemen. Volkswirtschaftslehre studierte Walk mit dem Schwerpunkt Regionalstudien Ostasien und Japan. Er verbrachte ein Auslandssemester in Kyoto (Japan).
Dr. Jörg Zeuner, Leiter Research und Chefökonom, Union Investment
Dieses Jahr ist Dr. Jörg Zeuner von der KfW Bankengruppe zur Union Investment gewechselt, um dort den neu gegründeten Bereich „Research & Investment Strategy“ zu leiten. Er hat die Position des Chefvolkswirts inne und ist stimmberechtigtes Mitglied im Union Investment Committee. Bevor er 2012 zur KfW kam, war Zeuner u.a. als Senior Economist beim IWF in Washington.
Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege, Flossbach von Storch AG
Seit 2009 ist Philipp Vordran als Kapitalmarktstratege bei dem Vermögensverwalter Flossbach von Storch tätig. Seine vorherigen beruflichen Stationen führten ihn 1991 als Fondsmanager zu Julius Bär und 1997 zu Credit Suisse Asset Management, wo er als Investmentstratege in Zürich arbeitete. Zusätzlich verantwortete Vorndran von 2004 bis 2006 als CEO die Credit Suisse Asset Management GmbH in Deutschland.
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François Collet, Portfolio Manager; DNCA finance

François Collet, Portfolio Manager; DNCA finance
Welche gesamtwirtschaftlichen Szenarien halten Sie aktuell für wahrscheinlich?
Unseres Erachtens dürfte die Abkühlung des Weltwirtschaftswachstums begrenzt sein, und wir sind zuversichtlich, dass sich eine Rezession in den großen Wirtschaftsräumen vermeiden lässt. Die aktuelle Fiskal- und Geldpolitik, kombiniert mit einem soliden und zuversichtlichen Haushaltssektor, sollte das Wachstum in Schwung halten – trotz der geopolitischen Unsicherheiten, die gegenwärtig auf die Märkte drücken. Ob sich der Zyklus fortsetzt oder mit einer Eskalation der Zollverhandlungen endet – unsere Analyse deutet auf einen künftigen Anstieg der Inflation hin.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Da die Risikoprämien derzeit sehr gering sind und sichere Anlagen ein ganz anderes Szenario einpreisen als riskante Vermögenswerte, werden wir eine Short-Position in der Duration sowie eine Long-Position in Breakeven-Inflationsraten bevorzugen, und bei Risikowerten vorsichtig bleiben. Liquide Vermögenswerte schätzen wir im heutigen Umfeld mehr denn je.
Wie würden Sie Ihre Strategie in einer Kurzpräsentation porträtieren?
Der Teilfonds DNCA Invest Alpha Bonds strebt nach einer positiven absoluten Rendite an allen festverzinslichen Märkten und zielt darauf ab, EONIA + 2,50 Bp p. a. zu erwirtschaften, wobei die Volatilität unter normalen Marktgegebenheiten auf 5% begrenzt ist. Der Fonds charakterisiert sich durch vier Haupteigenschaften – absolute Rendite, global, defensiv und liquide. Die Strategie wendet einen rigorosen und transparenten top-down-orientierten Anlageprozess an, der makroökonomische und quantitative Analysen sowie die Risikoüberwachung einbezieht.
Wodurch hebt sie sich von ihrer Vergleichsgruppe ab? Welches ist die strategische Benchmark? Was ist/sind die Haupttreiber von Performance und Wert?
Die Alpha-Bonds-Strategie unterscheidet sich von ihrer Vergleichsgruppe durch ihren Fokus auf Renditetrends anstelle von statischen Carry-Strategien. Das aktive Management der Strategie sowie die Verpflichtung zu einer hohen Liquidität ermöglichen rasche Anpassungen und es können dadurch auch Opportunitäten in sämtlichen Marktsituationen verfolgt werden. Die hervorragende Wertentwicklung ist maßgeblich der Fähigkeit zu verdanken, eine flexible Long-/Short-Allokation im Fonds umsetzen zu können, v.a. bei Staatsanleihen aber auch an den Kredit- und Devisenmärkten.
Wie stufen Sie Ihre Strategie ein? Womit sollten die Anleger rechnen?
Alpha Bonds ist keine traditionelle Anleihestrategie. Erstens strebt Alpha Bonds als Absolute-Return-Strategie danach, jegliche Marktgegebenheiten auszunutzen. 2019 wurde sie überwiegend mit einem negativen Durationsexposure verwaltet. Zweitens sorgt der hoch liquide Charakter der zugrunde liegenden Anlagen (Staatsanleihen und Derivate) für ein deutlich geringeres Liquiditätsrisiko und befähigt die Alpha-Bonds-Strategie, sich rasch an potenzielle Entwicklungen anzupassen. Die Strategie zielt darauf ab, von den Märkten entkoppelte Erträge zu generieren und zugleich das Risikoengagement zu minimieren.
Wie steht es um die Kapitaleffizienz für Anleger, die Solvency II genügen müssen?
Alpha Bonds ist eine tragfähige Lösung für Anleger, die nach Kapitaleffizienz unter der Solvency-II-Richtlinie streben. Da wir nur in verhältnismäßig geringem Maße in den Kreditmärkten investiert sind, werden die Kapitalanforderungen der Strategie auf einem niedrigen Level gehalten.
Die Strategie ist VAG-konform, und es ist ein vierteljährlicher VAG-Bericht für den Fonds verfügbar.
Welches Risikoprofil weist Ihre Strategie auf / welcher Risikokategorie gehört sie an? Bitte unterscheiden Sie zwischen Liquiditätsrisiken, Ausfallrisiken und Währungsrisiken. Wie wird das Risikoengagement gemessen und überwacht?
Das Risikomanagement bildet einen wesentlichen Bestandteil der Alpha Bonds Strategie, welche ein relativ niedriges Risikoprofil aufweist. Innerhalb des Fonds wird das Risiko auf zwei Ebenen gesteuert. So ist der Fonds nicht nur mit einer Ex-ante-Volatilitätsbegrenzung von insgesamt 5% ausgestattet, sondern schränkt zusätzlich die Nutzung dieses Ex-ante-Budgets auf die folgende Art und Weise ein: Das gesamte Risikobudget kann für Anlagen in G10-Staatsanleihen aufgewandt werden. Ein Höchstbeitrag von 2,5% dieses Budgets darf für Anlagen in Unternehmensanleihen genutzt werden, jedoch nicht mehr als 1,5% für Anlagen mit hohem Beta (Hochzinsanleihen, Schwellenmärkte etc.). Die Strategie vermeidet den Besitz von Unternehmensschuldpapieren und präferiert Anlagen in Kreditderivaten mit einem wesentlich liquideren Profil. Ein Nachweis für die Liquidität der Strategie ist, dass sie im internen Liquiditätsmodell von Bloomberg seit der Auflegung höher als 95% bewertet wird.
Brian Barnhurst, Principal and European Leveraged Finance Portfolio Manager, PGIM Fixed Income

Brian Barnhurst, Principal and European Leveraged Finance Portfolio Manager, PGIM Fixed Income
Wie ist Ihre Einschätzung für Hochzinsanleihen weltweit? Ist die Rally zu Ende?
Wir halten die Anlageklasse für attraktiv. Gute Fundamentaldaten, eine günstige Marktentwicklung, die lockere Geldpolitik und attraktive Spreads sprechen derzeit für Hochzinsanleihen. Wir gehen außerdem davon aus, dass der Handelskonflikt zwischen den USA und China auf kurze bis mittlere Sicht beigelegt wird, wovon ebenfalls insbesondere spekulativere Anlagen profitieren sollten.
Wie unterscheidet sich Ihr Investmentprozess von dem anderer Asset Manager?
Wir investieren bereits seit den siebziger Jahren in Hochzinsanleihen und wir konnten unseren Investmentprozess in den vergangenen Jahrzehnten über viele Marktzyklen hinweg optimieren. Unser Ansatz kombiniert die Fundamentalanalyse nach dem Bottom-up-Prinzip mit einer Relative-Value-Analyse, wobei uns makroökonomische Überlegungen bei der Formulierung unseres Risikoansatzes und unserer regionalen Ausrichtung helfen. Mehr als 50 Portfoliomanager für globale Leveraged-Finance-Anlagen arbeiten mit spezialisierten Analysten für ihre jeweiligen Regionen und Branchen zusammen, um kooperativ die jeweiligen Emittenten zu analysieren. Jeder Emittent erhält außerdem ein internes Kreditrating, wobei ESG-Faktoren im Rahmen des Research-Prozesses eine wichtige Rolle spielen. Das Risikomanagement ist als zentraler Bestandteil in unserem Investmentprozess verankert.
Welche Hochzinsanleihen halten Sie für attraktiver – europäische oder US-amerikanische?
Aktuell sind die OAS, also die optionsbereinigten Spreads, bei europäischen Single-B-Emittenten besonders attraktiv. Dies gilt vor allem für Emittenten, die sowohl in USD als auch in EUR emittieren und deren EUR-Spreads nach Währungsabsicherung potenziell attraktiver sind als USD-Spreads. Obwohl USD-Renditen absolut gesehen höher sind, ist die Differenz zwischen EUR-Hochzinsanleihen und der risikofreien Rendite größer als in den USA, was bei einer währungsadjustierten Betrachtung größere Überrenditen und auch eine höhere Gesamtrendite bietet. Die Spreads von US-Unternehmen, die EUR-Instrumente begeben, können zeitweise attraktiver ausfallen als die vergleichbarer Anleihen europäischer Emittenten, insbesondere wenn der US-Emittent vergleichsweise unbekannt ist, und umgekehrt.
Investieren Sie auch in Wertpapiere außerhalb des Hochzinsuniversums?
Ja. Wir mischen – sofern Anlagerichtlinien dies erlauben – Leveraged Loans, Unternehmensanleihen aus Schwellenländern und AAA-CLOs bei, je nach ihrer relativen Attraktivität zu Hochzinsanleihen. Dies gibt uns die Möglichkeit, in das beste Wertpapier aus der Kapitalstruktur eines Emittenten zu investieren und Ineffizienzen im Markt zu nutzen. Wir haben gegenwärtig Loans untergewichtet, da Hochzinsanleihen attraktiver bewertet sind.
Decken Ihre Analysten das gesamte globale Hochzinsuniversum ab?
Ja. Wir analysieren aktuell über 800 Hochzinsemittenten aus den USA, Europa und den Schwellenländern, sowie über 550 Emittenten von Loans. Wir decken das gesamte Universum mit sämtlichen Sektoren ab, und schließen dann Unternehmen mit fragwürdigen Geschäftsmodellen, problematischem Management, geringer Liquidität oder schlechter Qualität der Vermögenswerte aus.
Dr. Harald Henke, Senior Associate Partner, Team Manager Research Quoniam Asset Management GmbH

Dr. Harald Henke, Senior Associate Partner, Team Manager Research Quoniam Asset Management GmbH
Wie würden Sie Ihren systematischen Credit-Investing-Ansatz beschreiben?
Wir investieren in Unternehmensanleihen auf Basis eines selbst entwickelten, aktiven Factor-Investing-Ansatzes. Hierdurch erzielen wir ein systematisches Engagement in bestimmten Faktoren auf dem Markt, die entweder Prämien für besondere Risiken oder Verhaltensineffizienzen darstellen. Diese Faktoren sind, im Durchschnitt, mit überdurchschnittlichen Renditen verbunden. Durch die Kombination in einem Multi-Faktor-Modell haben wir seit der Einführung des Ansatzes im Jahr 2005 eine Information Ratio von über 1 erreicht.
Können Sie die Renditeeigenschaften Ihres Ansatzes näher erläutern?
Aufgrund der starken Diversifikation und der vergleichsweise großen Anzahl von Emittenten in unseren typischen Portfolios weisen diese in der Regel einen geringen Tracking Error am unteren Ende der Peergroup auf – bei einer stabilen Outperformance im Zeitablauf. Unsere relativen Renditen waren historisch in Zeiten starker Marktvolatilität höher, was den Ansatz von den meisten Wettbewerbern unterscheidet und zur Diversifizierung des Managerrisikos beiträgt.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zu traditionellen fundamentalen Ansätzen?
Ähnlich wie fundamentale Manager verwenden wir Informationen wie Bilanzdaten, aktienbezogene Informationen und Analystenschätzungen – allerdings bezogen auf ein breites Anlageuniversum. Durch die systematische und objektive Überprüfung von Anleihen auf Ineffizienzen mittels kontinuierlicher Datenanalyse vermeiden wir zugleich subjektive Verzerrungen und erreichen eine objektive und transparente Bewertung der Attraktivität einer Anleihe.
Wie gehen Sie mit der sinkenden Liquidität am Markt für Unternehmensanleihen um?
Wir analysieren systematisch die Liquidität am Markt, indem wir automatisch Millionen von Datenpunkten in Echtzeit verarbeiten. Dies ermöglicht es uns, Liquidität in herausfordernden Handelsumgebungen zu identifizieren und aktive Anlagestrategien mit jährlichen Turnover Rates zwischen 60-80 Prozent umzusetzen.
Funktioniert dieser Ansatz auch für das Management von Staatsanleihen?
Faktor-Investing-Strategien funktionieren in der Tat auch für Staatsanleihen. Traditionelle Faktoren wie Fundamental Value, Carry und Momentum sind auch bei Staatsanleihen vorhanden. Durch die Kombination dieser Faktoren zu einem Multi-Faktor-Ansatz kann über die Zeit systematisch eine Outperformance gegenüber einer entsprechenden Benchmark erreicht werden.
Michael Conelius, Portfolio Manager Emerging Markets Bond Strategy, T. Rowe Price

Michael Conelius, Portfolio Manager Emerging Markets Bond Strategy, T. Rowe Price
Welche gesamtwirtschaftlichen Szenarien halten Sie aktuell für wahrscheinlich?
Sorgen über die Verfassung der Weltwirtschaft haben angesichts schwacher Konjunkturdaten in den USA, aber auch in China, sowie der Fortdauer des Handelsstreits deutlich zugenommen. Dem steht gegenüber, dass die Notenbanken in den wichtigsten Industrieländern einen expansiveren geldpolitischen Kurs eingeschlagen haben – viele Schwellenländer werden möglicherweise folgen. Unseres Erachtens wird diese Entwicklung die Stimmung an den Börsen stützen und dazu beitragen, dass das Wachstum positiv bleibt.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Für den Fall, dass die Renditen von Kern-Staatsanleihen auf niedrigem Niveau verharren, sehen wir gute Chancen für Allokationen in EM-Hart- und Lokalwährungsanleihen sowie in Corporate Bonds aus diesen Ländern. Schwellenländeranleihen sind nach wie vor eine der renditestärksten Optionen für Rentenanleger, und die Bewertungen in dem Segment sind immer noch attraktiv. Aus Anlegersicht empfiehlt sich jedoch eine weiterhin selektive Haltung. Das Risiko geo- oder geldpolitischer „Schocks“ könnte die Volatilität phasenweise abrupt steigen lassen.
Wie würden Sie Ihre Strategie in einer Kurzpräsentation porträtieren?
Mit der Emerging Market Bond Strategy (EMB) streben wir die Nutzung von Gelegenheiten im gesamten EM-Universum an. Wir investieren in erster Linie in Hartwährungsstaatsanleihen, können mit Hilfe unserer globalen Researchplattform jedoch auch chancenreiche Titel bei Unternehmens- und Quasi-Staatsanleihen sowie an den Frontier-Märkten ausfindig machen. Unser Bottom-Up-Ansatz, der sich an fundamentalen Kriterien orientiert, ermöglicht uns die Nutzung von Ineffizienzen zur Alpha-Generierung, bei gleichzeitiger Steuerung des eingegangenen Risikos. Aus unserem langfristigen Zeithorizont resultiert ein „Contrarian“-Portfolio mit niedrigem Umschlag, dem ein Wandel der Marktbedingungen nicht viel anhaben und das über verschiedene Marktzyklen überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen kann.
Wir haben zwar die Benchmark des Portfolios, den J.P. Morgan Emerging Markets Bond Index Global Diversified, stets im Blick, doch unser flexibles Mandat erlaubt den Aufbau deutlich über- oder untergewichteter Positionen, eine entsprechende Überzeugung vorausgesetzt. Zu unseren größten Pluspunkten gehören die umfassende Erfahrung von Portfoliomanager Michael Conelius und die vereinte Kompetenz des Global Investment Team. Conelius verwaltet die Strategie seit der Auflegung im Jahr 1994 und hat sie in dieser Zeit durch diverse Marktzyklen gesteuert. Dank seiner Erfahrung besitzt er ein Gespür dafür, wann es lohnend sein könnte, gegen den Strom zu schwimmen – und er weiß, wie man im globalen EM-Universum interessante Gelegenheiten aufspürt.
Welche Risiken sind für die Strategie von wesentlicher Bedeutung?
Transaktionen mit Wertpapieren, die in Fremdwährungen denominiert sind, unterliegen Wechselkursschwankungen, die den Wert einer Anlage beeinflussen können. Die Erträge können volatiler sein als die an anderen, etablierteren Märkten, bedingt durch Veränderungen des Marktumfelds oder der politischen und wirtschaftlichen Bedingungen. Bei Schuldtiteln könnte sich die finanzielle Situation (des Emittenten) durch eine Rating-Herabstufung oder einen Zahlungsausfall verschlechtern, was den Wert einer Anlage beeinflussen könnte.
Svein Aage Aanes, Head of Fixed Income DNB Asset Management

Svein Aage Aanes, Head of Fixed Income DBN Asset Management
Warum sehen Experten die Nordischen Länder bereits als „Miniatur-Weltwirtschaft“? Was sind die Vorteile und Stärken der nordischen Märkte im Vergleich zu den anderen?
Die nordische Region hat in den letzten 30 Jahren eine sehr starke Wachstumsperformance gezeigt. Sie verfügt über eine diversifizierte Unternehmensstruktur, starke öffentliche Finanzen, ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und sehr geringe Einkommensunterschiede. Die Länder der nordischen Region sind in der Regel in einer Reihe von globalen Indizes hoch eingestuft – sei es Wettbewerbsfähigkeit, Netzwerkbereitschaft, Indizes für die menschliche Entwicklung, erleichterte Geschäftsabläufe oder andere Maßnahmen. Die Kombination aus stabilen politischen Regierungen und starken öffentlichen Finanzen bietet die Möglichkeit, im Falle eines globalen Abschwungs antizyklische Maßnahmen zu ergreifen. Auch die kurzfristigen Wachstumsaussichten für die nordischen Länder sind recht gut. Die nordischen Rentenmärkte sind durch kurze Laufzeiten gekennzeichnet. Das Anleihevolumen mit Laufzeiten von mehr als fünf Jahren ist sehr gering und der Anteil der FRNs am nordischen Anleihemarkt ist groß. So können Anleger in hohe Qualität bei geringem Durationsrisiko und einer sehr attraktiven Performance investieren.
Wie würden Sie im Jahr 2020 festverzinsliche Portfolios (um)allokieren?
Angesichts des aller Voraussicht nach anhaltend niedrigen Zinsumfelds würden wir Carry-Strategien in den Bereichen Investment Grade und High Yield bevorzugen. Am besten mit relativ kurzer Laufzeit.
Wie würden Sie Ihre Strategie in einer Kurzpräsentation porträtieren?
In der nordischen Region verfolgen wir eine Reihe unterschiedlicher Strategien – vom Investment-Grade-Kredit in Norwegen und der gesamten nordischen Region bis hin zum nordischen High Yield-Kredit. Das gemeinsame Thema für diese Strategien ist, dass es sich um Bottom-up-Kreditstrategien handelt. Als größter Kreditinvestor in unseren Kernmärkten nutzen wir unsere Marktmacht und Informationsvorteile, um Portfolios mit attraktiven Carry- und Roll-down-Eigenschaften bei minimalen Transaktionskosten aufzubauen. Wir sind fest davon überzeugt, und unsere Erfolgsbilanz zeigt deutlich, dass dies ein konsistenterer Weg ist, um eine Mehrrendite zu erzielen, als sich auf binäre Strategien wie z.B. Duration zu verlassen.
Wie sollte man die Strategie mit Blick auf Renditeoptimierung und Liability Management einsetzen? Wie beurteilen Sie die spezifischen Risiken?
Als Kreditstrategien fallen unsere Strategien in die Kategorie Renditesteigerung. Da der Großteil unseres AUM aus dem L&P-Sektor stammt, streben wir ein optimales Gleichgewicht zwischen den Anforderungen an die Renditeoptimierung und das Liability Management sowie den Eigenkapitalkosten an, insbesondere für unsere IG-Strategien. Das Kreditrisiko ist das überwiegende Risiko in den Strategien. Das Liquiditätsrisiko ist ebenfalls relevant, obwohl wir den nordischen Kreditmarkt für mindestens so liquide halten wie den europäischen. Alle Währungsrisiken werden in den Strategien abgesichert.
ESG-Aspekte sind in unseren Strategien sehr wichtig. Wir haben eine lange Tradition in der Berücksichtigung von ESG-Faktoren im Management, sowohl im Sinne des Ausschlusses bestimmter Emittenten und bestimmter Branchen als auch im Sinne der Integration von ESG in unsere Anlageentscheidungen.
Dr. Ulrich Neugebauer, Leiter Quantitatives Asset Management & ETF, Stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Deka Investment GmbH Leiter

Dr. Ulrich Neugebauer, Leiter Quantitatives Asset Management & ETF
Was sind Ihre Erwartungen an die Rentenmärkte für die nächsten 24 Monate?
Aktuell preist der Markt mehrere Zinsschritte in den USA ein und auch eine mögliche Entspannung im Handelskonflikt spiegelt sich in den Spreads wider. Dies birgt Enttäuschungspotential. Allerdings sehen unsere Modelle noch einen Spielraum für weiter fallende Renditen. Insgesamt erwarten wir in der nächsten Zeit volatile Märkte mit schwer zu prognostizierenden kurzfristigen Bewegungen.
Mit welcher Strategie reagieren Sie auf dieses schwierige Marktumfeld?
Uns ist es wichtig, dass die langfristige Strategie möglichst unabhängig vom Marktumfeld funktioniert – vor allem, wenn das „Börsen-Fahrwasser“ rauer wird. Aus diesem Grund folgt unser Investmentprozess auf der Rentenseite einem Multifaktoransatz. Multifaktor-Investing funktioniert hier analog zu Aktien, jedoch sind Besonderheiten zu beachten.
Faktoren wie „Size“ und „Quality“ dienen dazu, Klumpen- und Ausfallrisiken im Portfolio zu vermeiden. „Carry & Value“ konzentrieren sich auf die Maximierung laufender Erträge. Über „Momentum“-Faktoren werden nachhaltige makroökonomische Veränderungen genutzt.
Um erfolgreiche Portfolios mit Fokus auf Faktorprämien zu konstruieren, werden täglich über 40.000 Anleihen mit modernen Verfahren ausgewertet. Wollte man diese Aufgabe manuell erledigen, wäre dafür eine ganze Armee von Analysten notwendig. Im Ergebnis liefert unser Multi-Faktor-Modell damit eine risikoadjustierte Outperformance gegenüber den traditionellen Benchmarks.
Für die stark gestiegene Nachfrage in diesen Produkten – die Deka verwaltet hier mehrere Milliarden Euro – spielt auch das Deka-Forschungsinstitut IQ-KAP, eine wichtige Rolle: Nicht nur Wettbewerber zitieren unser Research, sondern es hat das Interesse namhafter, internationaler Institutionen und Universitäten geweckt. So können wir dann Partnerschaften ins Leben rufen, die die Qualität unserer Arbeit weiter verbessern helfen. Zudem geschieht es immer häufiger, dass Kunden auf Basis des wissenschaftlichen Fundaments die damit verwalteten Strategien näher kennen lernen wollen. Eine für alle Seiten spannende Entwicklung.
Save the date
Am 29. Oktober 2019 bietet sich Investoren in Frankfurt die Gelegenheit, die Portfoliomanager mit den besten Antworten live in Frankfurt zu treffen und eigene Fragen zu stellen.
Das Symposium „Masters of Credit“ ist ein fachlicher Deep-Dive zu Werttreibern, zu spezifischen Risiken und zu Implementierungsmöglichkeiten. Sie sind herzlich eingeladen.
Sie sind an einer Teilnahme interessiert oder möchten weitere Informationen erhalten? Dann kontaktieren Sie uns telefonisch oder per E-Mail. Wir helfen Ihnen gern weiter.
Julia Dingerling
Telefon: (069) 75 91 32 94
E-Mail: julia.dingerling@frankfurt-bm.com