Die Diskussion um ein Opting-out in der deutschen bAV geht weiter. Jüngst meinte erst wieder ein Nachrichtenmagazin, laut dafür trommeln zu müssen, um die unbefriedigende Durchdringung mit Betriebsrenten voranzubringen. Jedoch: Mit dem Begriff Opting-out ist zwangsläufig auch der des Obligatoriums verbunden, und das nicht nur als Alliteration. Die Zwangs-bAV ist gedanklich immer die logische Weiterentwicklung des Opting-out, sollte dieses nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Wer also vom Opting-out redet, darf vom Obligatorium nicht schweigen.
Kann denn ein Obligatorium sinnvoll sein? Das Beispiel Australien könnte belegen, dass dies durchaus ein praktikables Element ist, nationale bAV-Systeme zum Erfolg zu führen. Doch für so einfach wird das wohl niemand halten, der vom Fach ist. Schließlich ist einer der hervorstechendsten Nachteile des bAV-Zwangs – neben der grundsätzlich fragwürdigen Bevormundung der Beteiligten und der möglichen unerwünschten Vertriebseffekte auf der Anbieterseite –, dass Arbeitnehmer wie Arbeitgeber die bAV schlichtweg als zusätzliche Lohnnebenkosten empfinden könnten. Hinzu tritt, dass das Bewusstsein besonders der Arbeitgeber für eine bAV als echte kollektive Sozialleistung weiter unter Druck geriete. Dieser Prozess ist in der globalisierten Welt der multinationalen Konzerne ohnehin spürbar, und auch in Australien ist die Auffassung verbreitet, die bAV, dort Superannuation genannt, als reine „Payroll Issue“ zu sehen.
Eine simple Übertragung der australischen Erfahrungen auf die europäischen Systeme verbietet sich also. Im Gegenteil, gerade das schlechteste Zukunftsszenario des deutschen respektive der europäischen Pensionssysteme ist untrennbar mit dem Zwangssystem verbunden: Zu der im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht verästelten nationalen Regulierung tritt bereits heute eine die Komplexität potenzierende europäische Regulierung. Davon betroffen sind auch Konzerne, bei denen das in der seinerzeitigen Genese der bAV treibende Motiv – soziale Verantwortung der Unternehmerpersönlichkeiten gegenüber den Mitarbeitern – in dieser ursprünglichen Form ohnehin an Boden verliert. Folge ist ein verstärkter Rückzug der Arbeitgeber aus der ohnehin kerngeschäftsfremden bAV (so wie es der Trend zu Defined Contribution bereits beispielhaft vorzeichnet). Man stelle sich vor, in Europa reagierten die nationalen Gesetzgeber (oder gar der europäische) auf diese zunehmende Zurückhaltung erst mit einem Opting-out, später dann mit einem Obligatorium – das wiederum neue Regulierung nach sich zöge. Dann hätte man in der deutschen beziehungsweise europäischen bAV beides: überregulierte Komplexität UND Zwang.
Es kann kein Zweifel bestehen: Der Erfolg der australischen Superannuation beruht im Kern auf dem Zusammenwirken gerade beider Hauptcharakteristika: Schlankheit und Obligatorium. Angesichts der beispielsweise in Deutschland gewachsenen Komplexität der fünf Durchführungswege – die bei einer nicht überschießenden Regulierung durchaus den Vorteil der vielfältigen Anpassungsfähigkeit bieten – kann das Modell Down Under daher nicht als Vorbild dienen. Das dürfte für die meisten der reifen westeuropäischen Systeme gelten. Man sollte vor allem nicht den Fehler machen, das obligatorische Element des australischen Systems isoliert zu betrachten und als Heilmittel für an mangelnder Durchdringung leidende, westeuropäische Systeme misszuverstehen.
Außerdem – und man kann es nicht oft genug betonen: Die Altersvorsorge der deutschen und europäischen Bürger krankt in erster Linie ohnehin nicht an zu geringer Durchdringung oder zu geringen Beiträgen, sondern vor allem an einem übergeordneten, hausgemachten Phänomen: dem dauerhaften Niedrigzins.